Wird Trump sich von den Neokons ködern lassen?

von Ron Paul

Die jüngsten Angriffe jemenitischer Huthi-Truppen auf saudische Ölanlagen zeigen einmal mehr, dass eine aggressive Aussenpolitik oft unbeabsichtigte Folgen hat und zu Rückschlägen führen kann. Im Jahr 2015 griff Saudi-Arabien seinen Nachbarn Jemen an, weil ein Putsch in diesem Land den von Saudi-Arabien unterstützten Diktator entmachtete. Vier Jahre später liegt der Jemen in Trümmern, mit fast 100 000 getöteten Jemeniten und weiteren Millionen, die vor dem Hungertod stehen. Dies wurde zu Recht als die schlimmste humanitäre Katastrophe der Erde bezeichnet.

Aber das reiche und mächtige Saudi-Arabien hat den Jemen nicht besiegt. Tatsächlich baten die Saudis letzten Monat die Trump-Administration, Gespräche mit den Huthi zu ermöglichen, in der Hoffnung, den Krieg, der Saudi-Arabien Dutzende von Milliarden Dollar gekostet hat, endlich und ohne allzu grossen Gesichtsverlust des saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman zu beenden. Washington räumte zu Beginn des Monats ein, dass diese Gespräche bereits begonnen hätten.

Der Überraschungsangriff der Huthis am Samstag unterbrach die Hälfte der saudi-arabischen Öl- und Gasproduktion und schockierte Washington. Es war absehbar, dass die Neokonservativen den Angriff nutzen würden, um einen Krieg gegen den Iran zu fordern!

Senator Lindsay Graham, einer der wenigen Menschen in Washington, der John Bolton wie eine Taube aussehen lässt, twitterte vergangenen Sonntag: «Es ist jetzt an der Zeit, dass die USA einen Angriff auf iranische Ölraffinerien zur Diskussion stellen…». Graham ist die perfekte Verkörperung des Sprichwortes «Wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles wie ein Nagel aus.» Egal welches Problem vorliegt, für Graham ist die Lösung der Krieg.

In gleicher Weise machte Aussenminister Mike Pompeo – der eigentlich die US-Diplomatie vertreten sollte – den Iran für den Angriff auf Saudi-Arabien verantwortlich, als er twitterte: «Der Iran hat jetzt einen beispiellosen Angriff auf die Energieversorgung der Welt losgetreten.» Natürlich legte er keine Beweise vor, nicht einmal als die Huthi selbst die Verantwortung für die Bomben übernahmen.

Bemerkenswert ist, dass alle Kriegshetzer Washingtons für einen Krieg bereit sind, um den eigentlichen Vergeltungsschlag eines Landes zu bekämpfen, das Opfer der saudischen Aggression und nicht selbst Aggressor ist. Nicht Jemen hat Saudi-Arabien im Jahr 2015 angegriffen. Es war genau umgekehrt. Wenn man einen Krieg beginnt, und das andere Land schlägt zurück, dann hat man kein Recht, sich darüber zu beklagen, wie unfair die ganze Sache ist.

Die Reaktion des Establishments auf den jemenitischen Ölfeldangriff erinnert mich an eine Anhörung im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses kurz vor Beginn des Irak-Krieges 2003. Als ich gegen die Genehmigung für diesen Krieg argumentierte, wies ich darauf hin, dass der Irak die Vereinigten Staaten nie angegriffen hatte. Einer meiner Kollegen unterbrach mich mitten im Satz und sagte: «Erlauben Sie, den Herrn daran zu erinnern, dass die Iraker seit Jahren auf unsere Flugzeuge schiessen.» Stimmt, aber diese Flugzeuge bombardierten den Irak!

Die Neokonservativen wollen einen US-Krieg gegen den Iran um jeden Preis. Sie können sich vorübergehend benachteiligt fühlen, weil ihr Verbündeter in der Trump Administration, John Bolton, ausgeschieden ist. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass es noch viel mehr John Boltons in der Verwaltung gibt. Und sie haben Verbündete in den Lindsay Grahams im Kongress.

Der Jemen hat gezeigt, dass er gegen die saudische Aggression kämpfen kann. Der einzig vernünftige Weg nach vorne ist ein schnelles Ende dieses vier Jahre dauernden Zerrbildes, und die Saudis wären gut beraten, aus dem Schlamassel aufzuwachen, den sie selbst angerichtet haben. Wie auch immer, die Beteiligung der USA am Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen muss sofort beendet werden, und die Lügen der Neokons bezüglich der Rolle des Iran im Krieg müssen widerlegt und es muss ihnen Paroli geboten werden.

Copyright © 2019 RonPaul Institute.

Quelle: http://www.ronpaulinstitute.org/archives/featured-articles/2019/september/16/will-trump-take-neocon-bait-and-attack-iran-over-saudi-strike/

Übersetzung Zeitgeschehen im Fokus

Venezuela: «Die USA mussten feststellen, dass auch mit Guaidó nichts zu machen ist»

Interview mit alt Botschafter Walter Suter

alt Botschafter Walter Suter (Bild thk)
alt Botschafter Walter Suter (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Im Moment scheint es ruhig in Venezuela, zumindest berichten unsere Medien nichts mehr darüber. Wie ist das zu verstehen?

Alt Botschafter Walter Suter Es ist tatsächlich ruhiger geworden. Die USA haben wohl gemerkt, dass sie mit Juan Guaidó auch nicht weiterkommen. Er tauchte aus dem Nichts auf und sollte neuer Präsident in Venezuela werden. In den 20 Jahren vorher waren Capriles und López als Oppositionsführer in allen Medien. Sie genossen die Unterstützung der USA, aber im Januar hat niemand mehr von ihnen gesprochen, plötzlich war Guaidó der von den USA gepushte Mann. Achtzig Prozent der venezolanischen Bevölkerung haben ihn vorher nicht gekannt.

Wo kam er denn her?

Er war seit Januar 2019 als Vertreter der rechtsextremen Partei «Voluntad Popular» turnusgemässer Präsident des seit Januar 2016 vom Obersten Gericht wegen Verfassungsverletzungen von seiner legislativen Zuständigkeit suspendierten Nationalen Parlaments (Asamblea Nacional). Die Frage, die sich jetzt aufdrängt, ist, warum die USA die beiden vorherigen, langjährigen Oppositionsführer haben fallen lassen. Doch diese Frage hat noch niemand gestellt. Wo sind jetzt Leopoldo López und Henrique Caprile?

Ja, was vermuten Sie?

Ich vermute, es ist den USA klargeworden, dass mit den beiden nichts zu gewinnen und ein Wechsel so nicht zu erreichen ist. Sie brauchten jemanden Neuen. Juan Guaidó ist schon 2007 mit noch anderen jungen Führern in den USA ausgebildet worden. Am 23. Januar war dann der erste Versuch Guaidós, mit seiner eigenmächtigen Ernennung zum Staatspräsidenten die Regierung zu stürzen, misslungen. Am 23. Februar kam die gewalttätige Aktion in Cúcuta an der kolumbianischen Grenze dazu, die ebenfalls erfolglos war. Der Coup-Versuch vom 30. April war auch gescheitert. Die USA mussten feststellen, dass auch mit Guaidó nichts zu machen ist. 

Was heisst das jetzt für die USA?

Ich denke, sie müssen eine Denkpause einlegen, weil sie zur Zeit keine andere Lösung, keinen Plan B haben. Was sie feststellen mussten, ist, dass Guaidó auch nicht besser funktionierte als die anderen. Die USA werden jedoch nicht von ihrem seit 20 Jahren verfolgten Ziel, die bolivarische Regierung loszuwerden, abrücken. Dies um so mehr, als das 2015 von Präsident Obama erlassene Dekret, wonach «Venezuela eine ausserordentliche Bedrohung für die Interessen und die Sicherheit der USA darstellt» nach wie vor in Kraft ist. Was die USA wirklich vorhaben, wissen wir natürlich nicht. Im Vordergrund stehen vermutlich jedoch Störaktionen und Drohungen an den Grenzen zu Kolumbien und Guyana (das seit 100 Jahren umstrittene Territorium Esequibo). Aber sicher auch eine weitere Verschärfung der Sanktionen und der Blockade Venezuelas.

Was macht die venezolanische Regierung?

Sie versucht trotz der Sanktionen, irgendwie über die Runden zu kommen und die Situation für die Menschen im Land zu verbessern. Zur Umgehung der US-Sanktionen probieren sie, durch die Verwendung der Krypto-Währung PETRO und der alternativen Währungen Rubel und Yuan sowie mit Hilfe anderer Staaten wie der Türkei, Indien, China und Russland internationale Zahlungen auszuführen und sich so Nahrungsmittel und Medikamente zu beschaffen.

Bei der Frage der Lebensmittelbeschaffung spielt das IKRK eine wichtige Rolle. Funktioniert die Zusammenarbeit weiterhin?

Im April 2019 hat die Regierung mit dem IKRK vereinbart, dass es die Lieferungen koordiniert. Die interne Verteilung wird an der Grenze von der Armee übernommen, und die Feinverteilung übernehmen die Kommunalräte. Die Pakete mit Grundnahrungsmitteln werden nach wie vor an rund 6 Millionen Personen verteilt, aber das ist natürlich nur eine Notlösung. Die Regierung ist bemüht, dass es zu keiner humanitären Katastrophe kommt. Unter anderem fördert sie auch aktiv die Steigerung der lokalen Produktion von Grundnahrungsmitteln. Es bleibt eine schwierige Situation, solange das Land unter den Sanktionen leidet. Man hört aber von kleinen Verbesserungen. Wir dürfen nicht vergessen, die Sanktionen sind brutal. Vermutlich gehen die USA davon aus, dass sie längerfristig doch eine Wirkung erzielen.

Hängt das momentane mediale Desinteresse an Venezuela mit dem Scheitern des Umsturzes zusammen?

Seit dem letzten Putschversuch von Guaidó vom 30. April, der gescheitert ist, herrscht Stille. Es gibt keine schlechten Nachrichten aus Venezuela, und somit hat unsere Presse nichts zu berichten. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Regierung am Fallen ist. Für die Mainstreammedien ist das nicht interessant. Deshalb gibt es keine Berichterstattung.

Angeblich gibt es Gespräche zwischen den USA und Venezuela. Wissen Sie etwas davon?

Ja, das ist kürzlich veröffentlicht worden. Präsident Nicolás Maduro hat das öffentlich gemacht, dass auf der Ebene höherer Beamten seit mehreren Monaten Kontakte zwischen Washington und Caracas bestehen. Sie wollen den Kanal für Gespräche offen behalten, ohne zu präzisieren, ob man bei den Gesprächen weitergekommen ist oder was das genaue Ziel sein soll. Präsident Trump hat das auf Nachfrage bestätigt, aber mit dem Zusatz, die Namen der US-Vertreter, die in die Gespräche involviert seien, nicht öffentlich zu machen. Übrigens war der Widerstand Boltons gegenüber solchen Gesprächen mit ein Grund für seine kürzliche Entlassung durch Trump.

Wie schätzen Sie die «Erfolgsquote» dieser Gespräche ein?

Es besteht dadurch zumindest die Möglichkeit, zu einer friedlichen Lösung des Konflikts zu kommen. Mir stellt sich hier schon die Frage, warum die Mainstreammedien das nicht thematisieren. Man bekommt fast den Eindruck, eine positive Entwicklung ist kaum eine Zeile wert. Der erste Vermittlungsversuch mit Hilfe von Norwegen wurde unterbrochen. Aufgrund der verschärften Sanktionen hatte Präsident Maduro das zunächst sistiert. Er hat aber aktuell mitgeteilt, dass er bzw. die Regierung die Gespräche wieder aufnehmen wollen. Die norwegische Regierung hat sig­nalisiert, dass sie zur Verfügung stehe. Damit wird über zwei Kanäle der Dialog geführt.

Als neutraler Staat wären die Schweiz doch prädestiniert, Verhandlungen anzubieten, während Norwegen immerhin ein Nato-Land ist.

Das ist das Resultat des Verhaltens des Bundesrats. Die Schweiz hat sich selbst als Vermittler aus dem Rennen genommen, nachdem sie im März 2018, in Analogie zur EU, Sanktionen gegen 18 venezolanische Regierungsmitglieder erlassen und kürzlich erneuert hat. Dazu kommt noch, dass die Schweiz die Vertretung der US-Interessen in Caracas publik gemacht hat, ohne sich vorgängig der immer noch ausstehenden Zustimmung der venezolanischen Regierung zu versichern. Diese Verhaltensweisen sind natürlich ein grosses Hindernis, um für Venezuela als glaubwürdiger Vermittler zu gelten.

Hat sich nach dem Vorschlag, dass die Schweiz die Interessensvertretung der USA sein sollen, noch etwas bewegt?

Da bestehen nach wie vor Schwierigkeiten. Vor allem seit Venezuela die Türkei vorgeschlagen hatte, um seine Interessen in den USA zu vertreten. Die USA lehnten das ab. Deshalb sind wir jetzt in einer Patt-Situation. Dazu kommt, dass die USA immer noch Guaidó als Präsidenten anerkennen. Das ist natürlich eine Fiktion. Dennoch bleibt die Frage im Raum, warum die USA die Türkei, sogar ein Nato-Mitglied, als Vertreter nicht akzeptieren.

Für mich ist klar, dass sich die Schweiz, weil sie die Sanktionen der EU mitträgt, selbst ins Abseits gestellt hat. Obwohl die Schweiz jetzt neu wieder einen Botschafter in Caracas hat akkreditieren können und sich die diplomatischen Beziehungen so weit normalisiert haben, steht das Verhalten der Schweiz diesem Mandat für die USA im Weg. Dazu kommt, dass Bundesrat Cassis bis jetzt noch nichts unternommen hat, den Zahlungsverkehr für die venezolanische Botschaft in der Schweiz sicherzustellen. (vgl. Artikel, S. 3)

Erfüllt die Entsendung eines Botschafters nicht eine Forderung der venezolanischen Regierung?

Vermutlich schon. Die Schweiz sollte nach der Ausweisung des letzten Interim-Botschafters die Beziehungen wieder normalisieren. Das wurde mit der Akkreditierung eines ordentlichen Botschafters erfüllt. Damit anerkennt die Schweiz auch implizit die Regierung von Nicolás Maduro. Es ist sicher ein Vorteil, dass die Schweiz nun den Dialog wieder über offizielle Kanäle führen kann.

Herr alt Botschafter Suter, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Bern

Zahlungsverkehr mit kubanischer und venezolanischer Botschaft: Die Schweiz muss die Wiener Konvention einhalten

Bundesrat Cassis und das EDA sind in der Pflicht

von Thomas Kaiser

Es ist eine unglaubliche Geschichte, die im Artikel «Wegen Zahlungsstopp von Schweizer Banken: Venezuelas Botschaft in Bern geht das Geld aus» in der NZZ vom 19. September berichtet wurde. Darin geht es um die Auswirkungen der US-Sanktionen gegenüber Kuba und Venezuela.

Aus informierten Kreisen konnte man zwar schon länger vernehmen, dass die beiden Botschaften in der Schweiz Schwierigkeiten haben, einen ordentlichen Zahlungsverkehr durchzuführen, was die diplomatische Arbeit nahezu verunmöglicht. Die Schweizer Grossbanken unterwerfen sich wieder einmal dem Diktat der USA und verweigern sowohl der venezolanischen als auch der kubanischen Botschaft, Geld zu transferieren. Sie haben Angst, vom Bannstrahl der USA getroffen zu werden, wenn sie den Zahlungsverkehr mit Ländern durchführen, die von den USA mit Sanktionen belegt sind. Selbst die Postfinance, letztlich ein staatlicher Betrieb, hat den Zahlungsverkehr mit Kuba eingestellt.

Dieser Vorgang veranlasste SP-Nationalrat Fabian Molina in der Fragestunde im Nationalrat am letzten Montag, den Bundesrat damit zu konfrontieren (vgl. Kasten oben). Der zuständige Bundesrat Ignazio Cassis gab zur Antwort, dass «das Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen» sich «an die Vertragsstaaten» richte und «nicht das Verhältnis zwischen Privatpersonen» regle. Mit anderen Worten, die Banken sind private Unternehmen, und daher ist es nicht die Aufgabe der Schweiz, sich hier einzumischen. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass der Bundesrat nicht gegen die Gesetze anderer Staaten verstossen dürfe, was so viel bedeutet, dass er als Exekutive der neutralen Schweiz die Sanktionspolitik der USA, die gegen das Völkerrecht verstösst, indirekt mitträgt.

Der Völkerrechtler und ehemalige Uno-Mandatsträger Professor Alfred de Zayas sieht in dieser Angelegenheit, gestützt auf Artikel 25 der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen, die Schweiz in der Verpflichtung. «Die Schweiz muss aktiv werden, das verlangt Artikel 25: ‹Der Empfangsstaat gewährt der Mission jede Erleichterung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben.›» Nach de Zayas bedeutet das «direkte Verhandlungen mit den USA, um eine sofortige Änderung der Praxis zu verlangen – soweit sie in der Schweiz Konsequenzen hat.»

Nach dieser Einschätzung muss der Bundesrat sich dafür einsetzen, dass die Botschaften von Kuba und Venezuela in der Ausübung ihrer diplomatischen Aufgaben nicht eingeschränkt werden. Es ist zu bezweifeln, ob Bundesrat Cassis sich mit seiner Begründung aus der Affäre ziehen kann.

Inzwischen hat FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann am 16. September eine Interpellation eingereicht, die sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt und Antworten vom Bundesrat in dieser Sache verlangt. (vgl. Kasten, S. 3, unten)

Die Regierung Trump hat in den letzten Jahren ihr Sanktionen-Regime extrem ausgebaut. Trumps Wahlversprechen, Kriege beenden zu wollen, wird obsolet, wenn er stattdessen an allen Ecken und Enden Wirtschaftskriege anzettelt, die ebenfalls zivile Opfer fordern. Dass die Schweizer Regierung hier nicht mehr Format zeigt und sich am liebsten aus der Verantwortung stehlen möchte, ist äusserst stossend. Die seit 1815 völkerrechtlich anerkannte Neutralität der Schweiz muss respektiert werden, und zwar nicht nur von der Staatengemeinschaft, sondern auch vom Bundesrat selbst. Nur so kann sie ihre positive Wirkung entfalten. Die Schweiz darf nicht zu einem Vasallenstaat der USA zu verkommen.

 

Wie setzt der Bundesrat die Verpflichtungen des Wiener Übereinkommens in Bezug auf Bankgeschäfte um?

Eingereichter Text von Fabian Molina

Artikel 25 des Wiener Übereinkommens über die diplomatischen Beziehungen hält fest, dass der Empfangsstaat beglaubigten diplomatischen Vertretern «jede Erleichterung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben» gewährt. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Vertretungen aufgrund ausländischen Rechts ihren Zahlungsverkehr nicht über Schweizer Banken abwickeln können und dadurch an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden.

Was unternimmt der Bundesrat dagegen?

Sind die gesetzlichen Grundlagen ausreichend?

Antwort des Bundesrats und Verlauf in der Fragestunde

Cassis Ignazio, Bundesrat:

Das Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen richtet sich an die Vertragsstaaten und regelt nicht das Verhältnis zwischen Privatpersonen. Die Geschäftsbeziehung zwischen einer Schweizer Bank und ihren Bankkunden ist privatrechtlicher Natur, auch wenn eine ausländische Vertretung Vertragspartei ist. In der Schweiz gilt die Vertragsfreiheit, welche durch das Obligationenrecht geregelt wird. Darüber hinaus muss die Bank weitere Regulierungen beachten, insbesondere das Geldwäschereigesetz oder Sanktionsverordnungen des Bundesrates. Bei Bedarf unterstützt das EDA in konkreten Fällen die betroffene Vertretung bei der Suche nach Lösungen, damit diese ihre offiziellen Tätigkeiten gemäss dem Wiener Übereinkommen wahrnehmen kann.

Molina Fabian (SP, ZH):

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Bundesrat. Heisst das konkret, dass der Bundesrat akzeptiert, dass Sanktionen oder Gesetzgebungen ausländischer Staaten die Schweiz als Vertragsstaat des Wiener Übereinkommens daran hindern, ihre Aufgaben zu erfüllen und als neutraler Staat Gaststaat auch für ausländische Vertretungen zu sein?

Cassis Ignazio, Bundesrat:

Der Handlungsspielraum des Bundesrates ist durch die Gesetzgebung gegeben. Die gesetzlichen Grundlagen erlauben uns nicht, Gesetze anderer Staaten ausser Kraft zu setzen. Das ist die internationale Situation.

Quelle: Nationalrat Herbstsession 2019 Sechste Sitzung 16.09.19

 

 

Rechtssicherheit im internationalen Kapitalverkehr

Interpellation Nationalrat Hans-Peter Portmann

Die Schweiz hat sich verpflichtet, Sanktionen welche von der UNO ausgesprochen werden, umzusetzen. Alle durch Einzelstaaten einseitig verhängten Wirtschaftsembargos werden mit Blick auf die Neutralität vom Schweizerischen Gesetz nicht erfasst. Da jedoch globale Wirtschaftsmächte missbräuchlich auch Strafaktionen gegen Unternehmungen fremder Staatshoheiten verhängen, werden in der Schweizer viele Kundenbeziehungen gekündigt, welche eine allfällig mögliche Verbindung zu sanktionierten Staaten aufweisen. Das liegt natürlich entsprechend der Gewerbefreiheit in der Kompetenz dieser privatrechtlichen Unternehmungen. In verschiedensten Fällen hat aber die offizielle Schweiz gemäss internationalen Verträgen Verpflichtungen, wie das Sicherstellen eines freien Kapitalverkehrs, oder das Sicherstellen des täglichen Funktionierens bei den Botschaften und deren Mitarbeitenden.

Ich bitte den Bundesrat diesbezüglich zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

Wie soll der Kapitalverkehr mit Kuba aufrechterhalten werden, nachdem nun auch die Postfinance Kontoinhabern kündigte, welche mit Kuba legale Beziehungen (geschäftlich oder familiär) unterhalten?

Wie wird ausländischen Diplomaten ein tägliches Funktionieren sichergestellt, nachdem zum Beispiel der venzolanischen Botschaft und deren Mitarbeitern die Bankkonti gekündigt wurden?

Wie soll die Schweiz in Konfliktregionen oder in Afrika die Armut bekämpfen und den Aufbau fördern, wenn der private Kapitalverkehr unterbunden wird?

Quelle: www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20194032

Das Dollar-Imperium 

Mit der Dominanz ihrer Währung und brutaler Gewalt führen die USA die Welt am Gängelband

von Mohssen Massarrat*

Je weiter man zurückblickt und die weltpolitischen Ereignisse einzuordnen versucht, desto klarer erkennt man den roten Faden, der sich durch sämtliche, beinahe epochalen US-Kriege in den letzten drei Jahrzehnten zieht. Dabei sind zwei sich ergänzende Ziele offensichtlich: Erstens die Zerschlagung von grossen Staaten wie Jugoslawien, die sich auf dem Eurasischen Korridor mit Russland verbünden könnten, und zweitens Regime Change und/oder Zerschlagung von grossen Staaten mit bedeutenden Ölvorkommen, die zur echten Gefahr für die Stellung des Dollars als Weltwährung werden könnten.

Nie zuvor ist der Weltöffentlichkeit so übel aufgestossen, welchen wirkungsmächtigen Hebel der Dollar als Weltgeld für die einzig verbliebene Supermacht darstellt, um den Rest der Welt durch Wirtschaftssanktionen in die Knie zwingen zu können. Wenn US- Präsident Donald Trump nun immer stärker einen Staat nach dem anderen, von Russland über China, Venezuela, Iran bis Mexiko, bei Androhung von Wirtschaftssanktionen mit Zöllen überzieht und versucht, die US-Ökonomie zusätzlich – natürlich nur kurzfristig – anzukurbeln, dann kann er dies dank des Dollars und der kompletten Kontrolle des internationalen Banken- und Finanzsystems.

Worin liegen aber die Wurzeln der Macht des Dollars, die tatsächlich einen neuartigen Imperialismus hervorgerufen hat? Und was folgt daraus perspektivisch für eine Weltordnung ohne US-Hegemonie?

Dollarimperialismus

Jeder Ökonom weiss, dass kein Staat seine Haushaltsdefizite auf Dauer durch Staatsverschuldung abbauen kann. Dieser Weisheit widersprach jedoch Theo Weigel, der Finanzminister der CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl, als er behauptete, die USA würden – im Gegensatz zu Japan – damit sehr gut fahren und ihre Wirtschaft sei mit 3 Prozent Wachstum stabil. Doch Weigel unterschlug – ob absichtlich oder aus Unkenntnis – die Sonderrolle der USA. Als einzige Ökonomie der Welt müssen sie ihre Staatsschulden praktisch nie zurückzahlen. Denn durch die Vergabe von Staatsanleihen verfügen Amerikas Regierungen mit dem Federal Reserve System, der FED als US-Notenbank, über eine Geldquelle, mit der sie sowohl ihre Haushaltsdefizite als auch die US-Leistungsbilanzdefizite finanzieren.

Das bedeutet konkret: Zur Finanzierung laufender Staatsausgaben tauscht das US-Finanzministerium Staatsanleihen bei der FED gegen frisch gedruckte Dollar um. Die FED wiederum verkauft diese Staatsanleihen auf dem Weltmarkt und gleicht so durch ständig neues Kapital die Leistungsbilanzdefizite aus. Der Preis für diese Geldschöpfungspolitik ist eine unermessliche Staatsverschuldung.Um die alten Anleihen samt Renditen bei Fälligkeit zu bedienen, geben Amerikas Regierungen einfach neue Staatsanleihen aus, die sie – gegen frisches Geld bei der FED eingetauscht – erneut in Umlauf bringen. Auf diese Weise entsteht zwar eine Dollarinflation, die jedoch in den gesamten Globus und zu Lasten aller Dollarbesitzer exportiert wird. Dieser Prozess kann beliebig fortgesetzt werden, solange Kapitalanleger aus der ganzen Welt trotz Dollarinflation auf US-Staatsanleihen als sichere und profitable Investitionsanlage vertrauen.

Dieser weitestgehend verborgene Dollarkreislauf – Investitionen in US-Staatsanleihen, steigende Nachfrage nach Dollar, Geldschöpfung durch die FED –sorgt dafür, dass das Vertrauen in US-Staatsanleihen erhalten bleibt und ständig Kapital in die US-Ökonomie fliesst.

Kein Wunder, dass eine unter grossen Handelsbilanzdefiziten leidende Ökonomie keinen Staatsbankrott befürchten muss. In der Kapitalbilanz schlägt sich die Auslandsverschuldung als Kapitalimportüberschuss nieder.

Von 2000 bis einschliesslich 2016 stieg die Auslandsverschuldung der USA von 5 628,7 Milliarden US-Dollar auf die astronomische Summe von 19 918,7 Milliarden Dollar und lag im Jahr 2018 bei nahezu 21 500 Milliarden Dollar. Dieses zusätzliche Kapital stammt aus realen Wirtschaftsleistungen der ganzen Welt, während sich die USA darauf beschränkten, neues Geld zu drucken und in Umlauf zu bringen. Das Gesamtvolumen der ausstehenden US-Staatsanleihen betrug im September 2018 über 12 002 Milliarden US-Dollar.

Weltumspannende Gewalt anstelle des Völkerrechts

Doch diese privilegierte Position der USA setzt voraus, dass der Dollar sein Monopol als Leitwährung beim internationalen Ölhandel behält. Klammheimlich trat der Ölhandel an die Stelle des Gold gedeckten Dollars, da das Öl zu der wichtigsten Einzelware im Welthandel aufstieg. Zudem erhöht die steigende Nachfrage nach Öl die Nachfrage nach Dollar und sorgt damit gleichzeitig und automatisch für dessen Stabilität. Beruhte die Goldbindung des Dollars im Bretton-Woods-System immerhin auf völkerrechtlichen Regeln, so konnte sich die US-Regierung der völkerrechtlichen Fesseln nach dem Zusammenbruch dieses Systems in 1973/74 gänzlich entledigen.

Anstelle des Völkerrechts trat fortan die weltumspannende Gewalt, die sich durch den raschen Ausbau und die Errichtung von über 800 Militärbasen auf dem Globus umfänglich manifestierte. Denn der Ölhandel in Dollar ist dauerhaft nur möglich, sofern die USA es schaffen, sämtliche Ölstaaten des Mittleren Ostens und darüber hinaus unter ihre totale Kontrolle zu stellen und auch zu halten.¹ Das erklärt die US-Kriege im Mittleren Osten und nach meiner Einschätzung auch das Ziel der US-Neokonservativen, ihr Greater-Middle-East-Project zu verwirklichen: An die Stelle starker Staaten sollen möglichst viele, aber schwache Ölstaaten treten, die sich in den nächsten Dekaden des US-Diktats nicht werden erwehren können.

Somit schliesst sich ein Kreis aus US-amerikanischer Staatsverschuldung zur Finanzierung der gigantischen Rüstungsausgaben, dem Zufluss eines beträchtlichen Teils der Wirtschaftsleistung aus der ganzen Welt durch das Instrument des Dollar-Imperialismus und der kriegerischen Umwälzung des Mittleren Ostens, die die Nachfrage für Rüstungsgüter aufrechterhält.

Wirtschaftssaktionen als Hebel politischer Macht

Der Dollar-Imperialismus erstreckt sich auch auf andere Felder der US-Hegemonie. Um ihre Interessen durchzusetzen, verhängen die US-Regierungen zunehmend Wirtschaftssanktionen als Hebel politischer Macht. So haben sie beispielsweise Russland angesichts des Ukraine-Konflikts mit umfassenden Sanktionen belegt.

Noch dramatischer sind die Wirtschaftssanktionen gegen Iran angesichts von Trumps Ausstiegs aus dem Iran-Atomabkommen. US-Wirtschaftssanktionen sind deshalb so wirkungsvoll, weil über 80 Prozent des Welthandels in Dollar abgewickelt wird. Und der Dollar hat daher nachweislich die gegenwärtige beinahe unerschütterliche Monopolposition inne, weil der gesamte Ölhandel auf dem Weltmarkt an diese Währung gekoppelt ist.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die Welt für die Kosten dieser imperialistischen Politik der USA aufkommen muss. Erstens werden Millionen Menschen getötet oder aus ihren Dörfern und Städten vertrieben, denn die Welt muss in Chaos und permanenten Kriegszuständen gehalten werden, damit der militärisch-industrielle Komplex der USA fortbestehen kann. Zweitens werden ganze Ölstaaten in Geiselhaft genommen, damit die USA weiterhin an ihrem Monopol an der Weltwährung festhalten können. Drittens werden Ölstaaten wie Venezuela oder Iran, deren Öl eine Machtquelle für den Dollar darstellt, dank der Macht des Dollars ständig mit Wirtschaftssanktionen bestraft.

Euro oder Renminbi statt Dollar

Gelänge es einem Bündnis von US-kritischen Ölstaaten, sich für die Abwicklung ihrer Ölexporte in Euro oder in Renminbi zu entscheiden, würde die wichtigste Machtsäule der USA wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Dies ist der Hauptgrund für Regime Changes in den missliebigen Ölstaaten oder gar für deren Zerschlagung. So geschah es mit dem militärisch starken Irak unter Saddam Hussein, so geschah es auch mit Gadaffis Herrschaft und dem libyschen Staat.

Vor unseren Augen betreiben die USA gegenwärtig zielstrebig und unverhohlen einen Regime Change in Venezuela und sind dabei, die Weltgemeinschaft systematisch und mit allen propagandistischen Mitteln auf einen heissen Krieg gegen Iran einzustimmen. Darum wird es höchste Zeit, dass das US-Monopol auf die Weltwährung endlich durch Euro und Renminbi, also die Weltwährungen der anderen beiden Welthandelsmächte EU und China, aufgehoben wird. Dadurch entstünde eine drastische Entwertung der US- Staatsanleihen und demzufolge eine ebenso drastische Abschwächung der US-Hegemonialpolitik.

Der Hauptprofiteur des amerikanischen Dollarimperialismus ist neben dem US-Finanz- und Energiesektor der US-militärindustrielle Komplex. Im Falle Iran geht es nicht nur um Regime Change, sondern auch um die Zersplitterung des Landes. Davon profitieren auch Israel und Saudi Arabien, weshalb diese bereit sind, einen US-Krieg gegen Iran politisch, finanziell und logistisch uneingeschränkt zu unterstützen. Israels Stärke beruht auf dessen Monopol als einziger Atommacht in der Region und der Schwäche der arabisch-islamischen Staaten durch ihre Zersplitterung. Saudi Arabien würde bei einer Zerstückelung Irans auf Dauer zur regionalen Supermacht aufsteigen.

* Mohssen Massarrat, 1942 in Teheran geboren, lebt seit 1960 in Deutschland, absolvierte zunächst ein ingenieurwissenschaftliches Studium, promovierte in Politik- und habilitierte dann in Wirtschaftswissenschaften. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2007 war er Professor für Politik- und Wirtschaftswissenschaften. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zu den Themen Kapitalismus, Energie und Ökologie, nachhaltige Entwicklung, globale Ressourcenkonflikte, Mittlerer Osten, Iran sowie Friedens- und Konfliktforschung. Zuletzt erschien von ihm «Braucht die Welt den Finanzsektor? Postkapitalistische Perspektiven»

¹ Ausführliche Analyse des Dollarimperialismus im historischen Kontext siehe Mohssen Massarrat, 2017: Braucht die Welt den Finanzsektor? Postkapitalistische Perspektiven, Hamburg.

«Wir Tamilen wollen eine bessere Regierung»

«Um den Tamilen und anderen Minderheiten Hoffnung zu geben, braucht es eine internationale Gemeinschaft, die wach bleibt»

Interview mit Professor S .J. Emmanuel, katholischer Priester, Sri Lanka

Professor S .J. Emmanuel (Bild thk)
Professor S .J. Emmanuel (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Wie ist die politische Lage aktuell in Sri Lanka?

Professor S. J. Emmanuel Der amtierende Präsident Sirisena hat mich eingeladen, nach Sri Lanka zu kommen und für die Versöhnung zu arbeiten. Ich bin dorthin gegangen und habe begonnen, Versöhnungsarbeit zu leisten. Ich habe im Süden des Landes mit wichtigen Menschen Kontakt aufgenommen. Aber im Herbst 2018 ist etwas passiert. Der Präsident hat sich völlig gewandelt. Er hat den früheren Präsidenten Mahinda Rajapaxe, der in der letzten Wahl sein Gegner war, als neuen Premierminister eingesetzt und den alten entlassen. Das hat ein grosses Chaos im Parlament ausgelöst. Das Land war 51 Tage ohne Regierung.

Waren Sie davon direkt betroffen?

Ich war unterwegs nach Colombo, das war am 26. Oktober. Ich musste sofort nach Jaffna zurückkehren, da es nach dieser Unruhe im Parlament zu gefährlich war, in Colombo zu bleiben. Viele riefen mich aus aller Welt an und sagten, ich sollte unbedingt raus aus Sri Lanka. Die Entwicklung mit der Regierung sei ganz schlecht. Aber ich bin geblieben. Es war Winterzeit, und ich wollte nicht nach Deutschland zurückkehren.

Sirisena kam aber politisch mit der Entlassung des Premierministers nicht durch?

Nein, nach 51 Tagen musste Sirisena auf Geheiss des obersten Gerichts den alten Ministerpräsidenten wieder einsetzen. Aber es wissen alle, dass das Verhältnis zwischen den beiden nicht sonderlich gut ist. Es sind zwei Parteien in die Auseinandersetzung involviert. Anstatt sich um die Geschicke des Landes zu kümmern, machen sie Parteipolitik. Es ist jetzt ein ganzes Jahr nicht viel in der Politik passiert.

Was ist mit Rajapaxe?

Jetzt ist Wahlkampf, und das Schlimmste ist, dass Mahinda Rajapaxe versucht, wieder an die Macht zu kommen. Der Bruder des ehemaligen Präsidenten, Gotabhaya Rajapaxe, war der Verteidigungsminister. Er hat auf seiner Homepage eine halbstündige YouTube-Präsentation über mich gehabt. Das war ganz schrecklich. Er hat lauter Lügen über mich verbreitet. Nach dem Regierungswechsel hat die neue Regierung das Video heruntergenommen. Ich habe ihnen gesagt, wenn dieser Film weiterhin zu sehen sei, käme ich nicht nach Sri Lanka zurück. Die Gefahr stellt sich für mich dann, wenn Rajapaxe wiedergewählt wird und er das Video wieder öffentlich macht. Für ­Gotabhaya Rajapaxe besteht nationale Sicherheit nur im Verschwindenlassen von Menschen und Folter. 

Ist es keine Option, wieder nach Europa zu kommen?

Ich lebe jetzt in Sri Lanka. Wenn ich 10 Jahre jünger gewesen wäre, wäre ich nach Europa zurückgekehrt. Ich möchte dortbleiben, aber ich muss meinen Stil ändern. Beim Global Tamil Forum habe ich bereits angemeldet, dass ich als Vorsitzender zurücktreten will. 

Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Das hängt von den Wahlen ab. Wenn der alte Präsident wiedergewählt wird, dann ist es zu gefährlich für mich. Dann werde ich zurücktreten. Es ist zu meiner eigenen Sicherheit. Zusätzlich besteht eine Gefahr, die von extremistischen buddhistischen Mönchen ausgeht.

Inwiefern besteht hier eine Gefahr?

Die Gefahr geht von den «grassroots» Mönchen aus. Diese Bewegung geht auf die Zeit nach der Unabhängigkeit zurück. Sie entstand 1956. Sie sind damals an die Macht gekommen und ihre Religion wurde zur Staatsreligion. Durch die Attacken der Muslime am Ostersonntag in diesem Jahr sind sie wieder in Erscheinung getreten. Danach haben diese Buddhisten die Muslime im Land angegriffen und auch andere Minderheiten.

Was ist das Ziel der buddhistischen Extremisten?

Sie wollen eine buddhistische singhalesische Regierung einsetzen, und das ist gefährlich für das Land. Diese Extremisten betonen immer, dass der Staat souverän sei und die internationale Gemeinschaft müsse dem Land nichts diktieren. Sie respektieren die Menschenrechte nicht und lehnen auch die Resolution des Menschenrechtsrats ab, der einen gemischten Ausschuss für die Untersuchung der Kriegsverbrechen gefordert hat, die während und am Ende des Bürgerkriegs geschehen sind. Die Gefahr besteht, wenn sie sich gegen die internationale Gemeinschaft stellen, dass das für das Land wirtschaftliche und politische Nachteile hat, weil sich die Regierung nicht an die internationalen Regeln hält. 

Was bedeutet das für die Tamilen?

Das ist sehr schlecht für uns. Die Hilfe für die Tamilen kommt von der internationalen Gemeinschaft, um die Wahrheit aufzudecken und den Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Für die tamilische Partei wird das bei dieser Entwicklung in Zukunft sehr schwer werden. Das ist der Grund, warum ich von meinem Vorsitz zurücktrete. Ich mache das zu meinem eigenen Schutz. Wir brauchen Mut zum Glauben und um zu unseren Menschen zu stehen. 

Das klingt alles sehr bedrückend. Wie ist im Moment das Leben für die Tamilen in Sri Lanka?

Die Uno schickt immer wieder neue Beobachter, um zu prüfen, wie es um die Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte steht. Sie sehen auch die Gefahr, dass Sri Lanka in die falsche Richtung geht. Vieles ist aber noch nicht aufgearbeitet wie die verschwundenen Menschen, die illegale Landnahme durch die Armee und die vielen Gefangenen. Diese Probleme sind alle noch da. Hier hat sich praktisch nichts geändert. In der letzten Zeit ging es immer um die Wahlen. Die tamilische Partei ist hilflos. Der Präsident Sirisena war vor ein paar Tagen in Jaffna und hat gesagt, er habe alles für die Tamilen getan. Das stimmt aber nicht. Wir Tamilen wollen eine bessere Regierung, aber es gibt keine guten Kandidaten. Es gibt einen jungen Mann, er ist der Sohn eines alten Präsidenten und wäre ein guter Mann, aber er hat zu wenig Erfahrung. Es gibt zwei grosse Parteien in Sri Lanka, aber sie kümmern sich nicht an erster Stelle um die Tamilen. 

Was müsste geschehen, damit die Tamilen wieder Hoffnung schöpfen könnten?

Um den Tamilen und anderen Minderheiten Hoffnung zu geben, braucht es eine internationale Gemeinschaft, die wach bleibt und die Entwicklung in Sri Lanka beobachtet. Die Staaten müssen über die Wirtschafts- und die Entwicklungszusammenarbeit Druck auf die Regierung ausüben. Die westlichen Staaten wie Grossbritannien, die EU und die USA könnten hier viel Einfluss nehmen. Aber auch wir, die Vertreter der Minderheiten, müssten in Sri Lanka deutlicher unsere Stimme erheben und laut vor den Gefahren der Zukunft warnen. Auch muss die Freiheit der Bürger, Journalisten, Politiker und Nichtregierungsorganisationen gewährleistet sein.

Professor Emmanuel, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

Vom pädagogischen Wert der Zuversicht

von Carl Bossard

Die Welt als gigantischer Problemberg! Diesen Eindruck erhält, wer momentane Publikationen und schulische Lehrpläne liest. Gerade darum braucht es Zuversicht.

Wer mit Kindern unterwegs ist, wer Jugendliche auf ihrem Lern- und Lebensweg begleitet, der muss ein Geschwisterpaar an seiner Hand führen: die Zuversicht auf der einen und den Optimismus auf der anderen Seite. Nicht den blinden Optimismus und nicht die naive, illusionäre Zuversicht mit dem schnell zitierten positiven Denken. Auch nicht der kitschige Blick durch die rosa-rote Brille. Nein, es ist das Aufklärungsvertrauen, die Zuversicht als menschliche Grundhaltung – für junge Menschen eine Art mentaler Lebensversicherung und damit grundlegender Treibstoff des Lebens. Seelische Ressourcen leben von dieser Antriebsenergie der Zuversicht.

«Resignatio» ist keine schöne Gegend

Wer die aktuelle Bücherliste konsultiert und die Titel studiert, stösst auf schwere Kost mit bedrückenden Befunden: «Der Zerfall der Demokratie», «Wie Demokratien sterben», «Die Menschheit schafft sich ab», «Leere Herzen». Die Liste ist lang und der Tenor oft eher düster, der gesellschaftliche Abgesang hörbar und die Resignation spürbar. Da und dort ist es gar ein Spiel mit apokalyptischen Ängsten, mindestens mit pessimistischen Vokabeln. Doch «Resignatio», so der scharfe politische Denker und kauzig-kluge Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller, sei «keine schöne Gegend».¹ Das gilt auch für die Schule. Sie darf nicht einerseits eine positive Anthropologie pflegen und anderseits doch ins pessimistische Horn stossen. «Resignatio» bedeutet für die Kinder Gift. Es wäre eine Klimakrise der andern Art. Die Schule muss gegenhalten und zur Zuversicht erziehen.

Die Welt ist mehr als nur ein Problemberg

Der Lehrplan 21 – ein Spiegelbild der Zeit? Das fragt sich, wer die 470 Seiten durchgeht und die 363 Kompetenzen mit ihren 2300 Kompetenzstufen studiert. Da wird das Rätselwesen Mensch tendenziell auf den Kompetenzbegriff zurückgestuft, und die Welt erscheint im Wesentlichen als ein gigantischer, monotoner Problemberg, an dem primär eines zu tun ist: Probleme lösen und kontrollierbare Kompetenzen erwerben. Da werden hochkomplexe Weltprobleme formuliert, verbunden mit einer Menge irgendwo abrufbarer Antworten.² Kompetenzorientiert und selbstgesteuert sollen sie bearbeitet werden. Jeder Schüler wird so sein eigener Lernmanager und Lernen damit der Selbsterfahrung überlassen. Diese Komplexität überfordert viele Kinder, vor allem lernschwächere und mittelstarke Schüler. Sie erleben zu wenig, wie Lernen gelingen und Freude bereiten kann und wie dabei Sinn entsteht. Genau das aber brauchen junge Menschen; das stärkt sie und vermittelt Zuversicht.³ Nichts stimuliert so sehr wie (Lern-)Erfolg.

Natürlich, Probleme knacken können, das gehört zum menschlichen Dasein. Das ist zwingend. Doch muss man deswegen die ganze schulische Bildung aufs Können reduzieren und sie instrumental handhaben? Das aber geschieht. «Alle Ziele im Lehrplan 21 werden mit dem Verb ‹können› formuliert», verkündete vor kurzem die Zuger Bildungsdirektion der Öffentlichkeit.⁴ Das tönt dann beispielsweise so: «Die Schülerinnen und Schüler können ihren Körper sensomotorisch differenziert wahrnehmen, einsetzen und musikbezogen reagieren.» Und weiter: »[Sie] können sich zu Musik im Raum und in der Gruppe orientieren.»

Es gibt eine Bildung jenseits des überprüfbaren Könnens

Wenn alles zum Problem wird, die Musik und die Poesie, auch die Kommunikation und das Ästhetische – dann vergisst die Schule, dass uns die Welt noch zu ganz anderem einlädt, nämlich zum Staunen und Unbeschwert-Sein, zur Empfänglichkeit fürs Schöne und Geheimnisvolle, zur Leidenschaft, zur Hingabe an eine Aufgabe, zur Zuversicht. Auch zum eigensinnigen Verhalten, zum Querdenken und Gegenhalten. Kompetenz ist eben nicht nur das, was man kann und weiss. Beides kann man erwerben und darüber verfügen; beides kann man unter Kontrolle halten und es testen und zertifizieren. Doch darüber hinaus gibt es noch etwas Drittes: das menschliche Sein, die humane Grundhaltung. Bin ich meine Kompetenz? Bin ich neugierig und zuverlässig, einfühlsam und engagiert, achtsam gegenüber der Mit- und Umwelt, zuversichtlich?

Die Welt lieben und ihr Sorge tragen

Es gibt die Pflicht zur Zuversicht, schrieb Immanuel Kant. Gerade in prekären Zeiten. Kinder müssen dies von den Erwachsenen vorgelebt erhalten. Auch in der Schule. Unterricht, so sagt die Wirksamkeitsforschung, ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch, ein dialogisches Geschehen. Das wissen alle sokratischen Pädagogen. Entscheidend sind die Kompetenz und Haltung der Lehrperson – ihr Vertrauen und Zutrauen, ihr Vorbild und ihre Erwartungshaltung, ihre Zuversicht und ihre Leidenschaft für die Welt.⁵ Daraus entsteht die Leidenschaft für die Pädagogik und den Unterricht.

Nicht umsonst sagte die Politphilosophin Hannah Arendt: «In der Erziehung entscheidet sich, ob wir die Welt genug lieben, um die Verantwortung für sie zu übernehmen.»⁶ Die Welt lieben, um ihr mitverantwortlich Sorge zu tragen. Vielleicht trifft der französische Dichter Romain Rolland mit seinem Satz aus dem Michelangelo-Roman das Gemeinte: «Es gibt keinen anderen Heroismus, als die Welt zu sehen, wie sie ist, und sie dennoch zu lieben.» Wie trivial das ist! Und doch so schwer.

Kinder brauchen menschliche Brückenköpfe

Gerade lernschwächere Schülerinnen und Schüler brauchen Lehrpersonen, die sie ermutigen und ihnen so eine Brücke zum Gelingen bauen – und damit zur Zuversicht und zur Einsicht: «Ich kann es!» Oft sind diese Brückenköpfe eben nicht die Köpfe, sondern die Herzen. Was in der Schule zwischen Lehrerin und Schüler, zwischen Schülerin und Lehrer läuft, passiert nicht zuerst von Hirn zu Hirn, sondern von Auge zu Auge, von Sinn zu Sinn. Also körperlich und seelisch. Auch die Ermutigung und das Vorleben der Zuversicht. Die pädagogische Pflicht zur Zuversicht steht heute ganz weit vorne.

Die Welt braucht Menschen, die sich hinauswagen in die Welt und sie mittragen, Menschen, die wie Faust zuversichtlich sagen: «Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen, / Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen.»

Quelle: www.journal21.ch/vom-paedagogischen-wert-der-zuversicht

¹ Karl Pestalozzi (2018), Gottfried Keller. Kursorische Lektüren und Interpretationen. Basel: Schwabe Verlag, S. 237.
² Vgl. Jürgen Kaube, Illusionen der Pädagogik, in: FAZaS, 19.05.2019, S. 33.
³ Vgl. Ulrich Schnabel (2018), Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München: Blessing Verlag.
⁴ Endspurt für den Lehrplan 21 in den Zuger Gemeinden. In: Zuger Zeitung, 22.04.2019, S. 21.
⁵ John Hattie & Klaus Zierer (2018), VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 146f.
⁶ Hannah Arendt (1994), Die Krise der Erziehung. In: Dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. München: Piper, S. 276.

«Das Alphorn ist der Spiegel der Seele»

Besuch bei der Alphornmacherei auf dem Chnubel im Emmental

von Thomas Kaiser

Es gibt wohl kaum ein Instrument, das die Seele des Menschen tiefer berührt als ein Alphorn. Wer Alphornklänge in freier Natur erlebt, weiss, wovon die Rede ist. Auch wenn das Alphorn eher als archaisches Instrument wahrgenommen wird, so gibt es in der Schweiz doch an die 30 Alphornbauer, die dafür sorgen, dass die musikalische Tradition erhalten bleibt. Einer davon ist Walter Bachmann, der im Emmental auf dem Chnubel, 30 Gehminuten von Eggiwil entfernt, seine Werkstatt hat. Seine Alphörner sind der guten Qualität wegen bekannt, um so mehr ein Grund, sich von der Ostschweiz ins Emmental aufzumachen, um die Alphornmacherei zu besuchen.

Wir (zwei Mitarbeiter der Redaktion) haben das Glück, an der Bushaltestelle in Eggiwil abgeholt und so bequem mit dem Auto ans Ziel chauffiert zu werden. Dieser Service erweist sich vor allem beim Rückweg als Segen, obwohl es immer «durab» geht, hätte uns das sich entladende Sommergewitter heftig zugesetzt.

Wir werden freundlich empfangen und folgen Walter Bachmann direkt in seine Alphornmacherei. Hier kommt man aus dem Staunen kaum noch heraus. Überall stehen oder liegen Holzteile, an denen unschwerlich zu erkennen ist, was daraus einmal werden soll: Alphörner, die mit ihrem speziellen Klang die Seele der Menschen zum Schwingen bringen.

Walter Bachmann (Bilder thk)

Walter Bachmann (Bilder thk)

 

 

Alphorn hatte schlechten Ruf

Wenn man sich in der Werkstatt umschaut, fallen unzählige Werkzeuge auf, die schon etliche Jahre auf dem Buckel haben, so auch eine Bandsäge aus dem Jahre 1934. «Diese Werkzeuge hat schon mein Grossvater benutzt», erklärt uns Walter Bachmann. Und schon sind wir mitten in der Entwicklungsgeschichte des Alphornbaus auf dem Chnubel. Walter Bachmann erzählt, dass das Alphorn zu Beginn des 20. Jahrhundert in der Schweiz vom «Aussterben» bedroht gewesen sei, weil es einen schlechten Ruf gehabt habe. Das sei weniger auf das Alphorn als auf die Alphornbläser zurückzuführen. Die ursprüngliche Funktion des Alphorns war nämlich, so Walter Bachmann, auf den Alpen das Vieh anzulocken, wenn es Zeit zum Melken war. «Anstatt den Viechern auf der Alp nachzuspringen, wurden ein paar sonore Melodien gespielt, auf die die Tiere reagierten.» Das geschah aber nur in den Sommermonaten. Im Winter waren die Hirten arbeitslos und versuchten mit Alphornspielen, in den Städten etwas Geld zu erbetteln. Das stiess bei den Stadtbewohnern auf wenig Gegenliebe und brachte Bläser und Instrument in Verruf.

In ganz früheren Zeiten diente das Alphorn auch als Kommunikationsmittel. Der Klang des Instruments lässt sich über 10 Kilometer weit vernehmen.

Renaissance des Alphorns

Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es eine Initiative, das Alphorn im Emmental wiederzubeleben. Bereits 1921 wurde eine Alphornbläservereinigung gegründet, die hin und wieder den Auftrag bekam, auf Dorffesten das Alphorn zu spielen, um damit die Teilnehmer zu erfreuen. Dadurch wurde es sozusagen rehabilitiert. Es erlebte in der Folge buchstäblich eine Renaissance, die bis heute nicht nur auf dem Chnubel anhält. Der Grossvater von Walter Bachmann, Ernst Schüpbach, war fasziniert von diesem Instrument und wollte selbst gerne ein Alphorn besitzen. Doch die Zeiten waren schlecht und die Menschen arm. Seine Eltern hatten zu wenig Geld, um ihrem 13jährigen Sohn ein Alphorn zu kaufen. Da ergriff Ernst die Initiative und beschloss, sich selbst eines zu bauen. Später verdiente er sich damit ein kleines Zubrot. «Für das erste Alphorn bekam er 1925 2 Franken für das zweite waren es bereits 50 Franken. Davon konnte er sich eine Bandsäge leisten», weiss Walter Bachmann über seinen Grossvater zu berichten. Das Arbeiten mit Holz bereitete Ernst Schüpbach grosse Freude. Im Winter war er vorwiegend mit Bauen von Alphörnern beschäftigt. Anfangs hatte er mit Alphornmachen noch nicht so viel zu tun. Zuerst verdiente er sein Sackeld mit der Holzskiproduktion. Eine Tafel an der Wand der Werkstatt zeugt von dem unermüdlichen Schaffen des Alphornbauers.

Haselfichte ist das geeignetste Holz

Als blutige Laien interessierte uns natürlich, was neben dem Bläser noch einen Einfluss hat, damit ein Alphorn diesen Wohlklang entwickeln kann. Als wichtigen Faktor nannte Walter Bachmann neben der sorgfältigen Verarbeitung «die Qualität des verwendeten Holzes».

Als besonders geeignet erwies sich dafür die Haselfichte. Diese Holzart erfreut sich bei vielen Instrumentenbauern grösster Beliebtheit. Auch griff man gerne auf Arvenholz zurück, das häufig für den unteren Teil des Horns benutzt wurde. «Das Echo isch gäng stärcher bi de Hasufichte as bi de Arve», klärt uns Walter Bachmann in klangvollem Emmentaler Dialekt auf.

Die Grundtonart der meisten Alphörner ist Fis oder Ges. Das sind die Schwingungen, die in der Natur vorkommen. «Das Besondere daran ist», erklärt Walter Bachmann, «dass es mit anderen Tonarten schwieriger ist, ein Echo zu erzeugen als mit Fis, denn Fis ist eine sogenannte Naturtonart.» Genaues Werken sei notwendig, denn die Tonart wird durch die Länge und den Durchmesser des Instruments bestimmt. Und je näher der Ton am Fis ist, umso stärker ist das Echo.

Warum gerade die Haselfichte das geeignetste Holz ist, erklärt uns Walter Bachmann an einem Holzstück dieses Baums. Das Besondere daran ist, dass die Jahresringe nicht geradlinig verlaufen, sondern «chliini Cherbeli» haben. Das besitzt die normale Fichte nicht. Diese «Cherbeli» gehen bis ins Holzmark, das ist der weichere Teil des Holzes zwischen den Jahresringen.

Noch weitere Besonderheiten lassen sich an der Haselfichte erkennen. Im Emmentaler Dialekt heisst das «Kraihefüessler»; das sind kleine Streifen im Holz, die wie Krähenfüsse aussehen. Auch sie unterstützen den runden Klang des Alphorns.

Am besten wächst die Haselfichte ab 1000 Metern Höhe. Sie ist in der ganzen Schweiz zu finden. Je nachdem, wo sie ihren Standort hatte, ergeben sich auch verschiedene Klangfarben. Zusätzlich spielt die Dicke des Holzes auch noch eine Rolle. Dünnwandigere Instrumente sprechen schneller an, dafür ist der Ton nicht so intensiv. Bei dickwandigerem Holz ist es genau umgekehrt. Der Ton wird nachhaltiger, intensiver und bringt viel mehr Volumen.

Innere Gestimmtheit für den Klang verantwortlich

Das Aushöhlen des Holzstücks beginnt man zunächst mit einem Hohlmeissel. Wenn man das Gröbste herausgeholt hat, muss das Holz von Hand gehobelt werden. Das wird mit Werkzeugen gemacht, die Walter Bachmanns Grossvater eigenhändig hergestellt hat. Das Holz wird so lange von Hand gehobelt, bis es die richtige Dicke erreicht hat. Anschliessend wird die Oberfläche mit grosser Sorgfalt ganz glatt geschliffen. Die Feinheit der Bearbeitung hat einen grossen Einfluss auf die Qualität des Tons, der das Alphorn verlässt. Doch das ist nur die eine Seite. Auch der Bläser, so Walter Bachmann, ist keine unbedeutende Grösse bei der Erzeugung eines sauberen Tons: «Das gleiche Instrument tönt bei verschiedenen Bläsern unterschiedlich, denn die Körperstatur ist für die Entstehung eines Tons nicht ganz unbedeutend.» Doch noch viel, viel mehr sei die innere Gestimmtheit des Bläsers für den Klang verantwortlich. Nicht von ungefähr sagt man: «Das Alphorn ist der Spiegel der Seele des Menschen. Wenn jemand darauf spielt, und es gibt keinen klaren Ton, dann ist bei ihm im Innern nicht alles am richtigen Ort. Wenn einer mit schlechter Laune Alphorn bläst, kommt kein guter Ton heraus.» Dieses gegenseitige Bedingen von Bläser und Instrument ist beim Alphorn ausgeprägt. Aus diesem Grunde bietet das Alphorn auch einen Ausgleich zur stressreichen Berufswelt, um wieder mit beiden Füssen auf den Boden zu kommen.

Das Alphorn ist eigentlich nur ein Lautsprecher

«Das Alphorn ist ein einfaches Rohr, auf dem jeder spielen kann. Man muss auch keine Noten kennen. Wenn die Lippen richtig vibrieren, dann geht das. Es spielt keine Rolle, wie gross der Bläser ist. Auch ein kleiner Stöpsel kann in ein grosses Horn hineinblasen.» Mit diesen Worten macht uns Walter Bachmann Mut, auch einmal zu versuchen, diesem imposanten Instrument einen Ton abzuringen. Er zeigt uns, wie verschiedene Töne durch Veränderung der Spannung der Lippen erzeugt werden. «Dazu muss man im Bereich der Atmung sehr offen sein, damit es einen ganz offenen Klang gib. Das Alphorn ist eigentlich nur ein Lautsprecher. Der Ton wird im Mundstück gebildet. Das besteht aus hartem Holz mit einer schönen Struktur.» Die Begeisterung von Walter Bachmann über den Klang des Alphorns und über das Erstellen dieses aussergewöhnlichen Instruments springt immer mehr auf uns über. Im geheimen entsteht der Wunsch, auch einmal dem Instrument einen Ton zu entlocken.

Walter Bachmann produziert etwa 25 Alphörner im Jahr und wird dabei von seinem Vater und einem Mitarbeiter unterstützt. Als wir in der Werkstatt stehen, ist sein Vater gerade daran, das Rohr mit Rattan zu umwickeln. Das bietet zum einen einen guten Schutz und zum anderen verhindert es auch das Reissen des Holzes. Modernere Alphörner werden in der Regel aus drei Teilen zusammengesetzt, das ermöglicht auch einen problemlosen Transport.

Früher wurden die Alphörner aus einem Stück gefertigt. Bäume, die an einem steilen Hang wuchsen, glichen dies mit einer Krümmung aus, um senkrecht nach oben wachsen zu können. Damit hatten sie bereits eine natürliche Krümmung.

Weicher Klang braucht weiches Holz

Die Auffassung, das Alphorn müsse aus einem Stück gefertigt sein, weil dann der Klang besser sei, trifft nicht in jedem Fall zu. Walter Bachmann kann uns das an vorhandenen Hölzern mit grosser Sachkenntnis genau erklären. «Um einen weichen Klang zu bekommen, braucht man weiches Holz. Schaut man den Jahresaufbau eines Stamms an, zeigt sich, dass das Sommerwachstum stärker ist. Im Winter geschieht praktisch nichts. Je grösser das Wachstum ist, desto weicher ist der Klangkörper. Beim Becher verwendet man gern gröber gewachsenes und im hinteren Teil des Rohrs Holz mit engem Jahresring, das sich gut bearbeiten lässt. Deshalb wählt man das Holz so aus, dass an allen Stellen das Optimum erreicht werden kann. Das macht die Feinheit des Instruments aus.»

Beim Zusammenstellen des Alphorns ist grösste Sorgfalt geboten, damit die Schwingungen nicht beeinträchtigt werden. Deshalb muss alles ganz fein aufeinander abgestimmt werden. Je mehr Unterbrüche es in einem Instrument hat, um so schwieriger ist es, dass es intensiv klingt. Die Übergänge bei einem zusammengesetzten Horn müssen ganz glatt verarbeitet sein, damit der Ton ungebremst rollen kann. Durch verschiedene Längen kann die Tonart verändert werden. Es gibt in einzelnen Ländern unterschiedliche Grundtonarten. In der Schweiz ist es das Fis, in Deutschland hat man das F, in Frankreich das As. Wird das Alphorn als Begleitinstrument eingesetzt, kann die Tonarten entsprechend angepasst werden.

Aller Anfang ist schwer

Am Schluss stellt sich uns die Frage, wie man am besten zu einem Alphorn kommt, wenn man beginnen möchte, das Instrument zu spielen.

Für Walter Bachmann ist es ausserordentlich wichtig, mit seinen Kunden, die sich für ein Alphorn interessieren, persönlichen Kontakt zu haben. Man könne zwar im Internet Produzenten finden, die Alphörner anbieten und verkaufen, aber das wolle er nicht. «Ich will mit den Menschen sprechen und ihnen die Feinheiten des Instruments erklären». Anfängern rät er erst einmal ein Alphorn zu mieten und sich dann zu entscheiden, ob man eines kaufen wolle. 

Der Versuch am Ende unseres intensiven Besuchs, aus dem Alphorn noch ein paar Töne herauszubringen, ist nicht völlig gescheitert. Wir konnten dem edlen Instrument zwar ein paar ungeordnete Töne abringen, aber meilenweit davon entfernt, was ein Alphornbläser wie Walter Bachmann diesem Instrument entlocken kann.

Doch wie heisst es so schön: Aller Anfang ist schwer, oder Übung macht den Meister. Beeindruckt von der Ausdruckskraft eines Alphorns und berührt von seinen Klängen machten wir uns am späteren Nachmittag wieder auf dem Heimweg, um eine herrliche kulturelle und menschliche Erfahrung reicher.

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