Direktdemokratische Mitsprache in der Aussenpolitik

thk. Für die Freiheit und Unabhängigkeit eines Staates hat der Erhalt der staatlichen Souveränität erste Priorität. Für die Schweiz, die sozusagen in der Mitte Europas und zwischen EU-Mitgliedstaaten eingeklemmt ist, stellt sich, seit die Diskussion um den EU-Rahmenvertrag so richtig entflammt ist, diese Herausforderung mehr denn je. Für sie hätte eine weitere vertragliche Annäherung an die EU eine zusätzliche Einschränkung der Eigenständigkeit zur Folge. Besonders augenfällig wird dies heute schon im Fall des Schengen-Abkommens. Durch die ständige Weiterentwicklung des EU-Rechts ist die Schweiz gezwungen, alle neuen gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen oder bei Nicht-Übernahme zumindest zu riskieren, den Ärger der EU auf sich zu ziehen, und unter Umständen aus dem Vertrag austreten zu müssen. Mit einem allfälligen Rahmenabkommen wäre dieser Zwang noch viel umfassender. In diesem Zusammenhang lässt eine Vernehmlassung des Bundesrates aufhorchen. Anknüpfend an eine Motion des ehemaligen Nationalrats und heutigen Ständerats Andrea Caroni, der eine Verankerung eines obligatorischen Referendums für völkerrechtliche Verträge mit verfassungsmässigem Charakter verlangt, schlägt der Bundesrat vor, dieses Recht ausdrücklich in der Bundesverfassung zu verankern. Damit verspricht sich der Bundesrat «mehr Rechtssicherheit und Transparenz und stärkt die demokratische Legitimation des Völkerrechts.» Somit wird etwas in der Verfassung festgeschrieben, was nach Meinung des Bundesrates «Teil des ungeschriebenen Verfassungsrechts» sei.

Damit würde das zum Teil jetzt schon bestehende Staatsvertragsreferendum aufgewertet. Das folgende Interview mit dem ehemaligen Nationalratspräsidenten Ruedi Lustenberger beschäftigt sich ausführlich mit der Frage von Staatsverträgen und der dabei zu beachtenden staatlichen Souveränität. Das Interview wurde am 6. September geführt.

«Das höchste Gut einer Nation ist die Souveränität»

Interview mit alt Nationalratspräsident Ruedi Lustenberger

Ruedi Lustenberger (Bild thk)
Ruedi Lustenberger (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Was bedeutet es für die Schweiz, wenn die neuen Waffenrichtlinien der EU übernommen werden?

Ruedi Lustenberger Wir gleichen unser Recht internationalen Richtlinien an, obwohl es innenpolitisch nicht zwingend ist: in Bezug auf unsere Milizarmee, dem historisch gewachsenen Waffenverständnis des Schweizers und unserem besonderen Verhältnis zwischen Bürger und Staat. An und für sich sind wir gerade in diesem Bereich der «Sonderfall Schweiz». Aber letztlich geht es weniger um die Waffen selber als um den Erhalt unserer Souveränität.

Warum machen wir es trotzdem?

Der Bundesrat hätte die Angleichung an die EU-Waffenrichtlinien so nicht vorgeschlagen, wenn er nicht der Meinung wäre, er müsste es wegen des Vertrags von Schengen tun. In der Debatte wird argumentiert, wir würden sonst aus diesem Vertrag ausgeschlossen. So lässt man sich die Entscheidungsfreiheit abkaufen. Es ist das, was man ein «Fait accompli» nennt und damit meint, man könne nur noch Ja oder Ja sagen. 

Warum kann man nicht einfach Nein sagen?

Man kann durchaus Nein sagen. Ob die Schweiz deswegen aus dem Schengen Vertrag entlassen würde, darf bezweifelt werden. Wenn dem tatsächlich so wäre, würde es sich allerdings nachteilig auf die sogenannte Drittstaatenregelung auswirken; die gäbe es dann nicht mehr, denn der Vertrag von Schengen ist mit jenem von Dublin verknüpft. Und, wir müssten wieder Grenzkontrollen einführen. Am wenigsten Freude daran hätten die Kriminaltouristen, die Rauschgift- und die Menschenhändler.

Sie haben vorher erwähnt, dass es bei der Schengen-Frage mehr um die Souveränität gehe als ums Waffenrecht selber. Welchen Wert messen Sie der Souveränität grundsätzlich bei? Was bedeutet Souveränität für unser Land?

Wenn man die Souveränität zur Neutralität, zur direkten Demokratie und zu andern staatlichen und politischen Errungenschaften ins Verhältnis setzt, müssen wir uns bewusst sein, dass die nationale Souveränität alles andere überhaupt erst möglich macht. Die Souveränität einer Nation ist das höchste zu verteidigende Gut. Sie steht somit über der Neutralität, über der direkten Demokratie und über dem Föderalismus und der Subsidiarität, weil sie die Voraussetzung für diese wichtigen Dinge ist.

Warum beurteilen Sie das so?

Weil nur derjenige frei ist, der auch souverän ist. Dann kann er entscheiden, ob er neutral sein will und den Staat direktdemokratisch und föderalistisch gestalten will, und ob er nach dem Prinzip der Subsidiarität funktionieren soll. 

Wie steht es um die Souveränität der Schweiz?

Wir waren vor 50 Jahren souveräner als heute.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Grundsätzlich sind die Staaten global näher aneinandergerückt. Mit jedem internationalen Vertrag geht man gegenüber dem Vertragspartner eine Verpflichtung ein. Ist es ein anständiger Vertrag, begeg­net man sich auf Augenhöhe, und es gibt für beide Seiten ein Geben und Nehmen. Damit gibt man bewusst und automatisch einen kleinen Teil der Souveränität ab. Aber das ist gewollt, man weiss, was man tut. Somit ist nicht jeder internationale Vertrag per se schlecht. 

Wie müssen wir diesen Souveränitätsverlust in der Politik einschätzen?

An das, was in einem Vertrag geregelt ist, hat man sich zu halten. Bundesrat und Verwaltung müssen die ausgehandelten Regelungen vollziehen, und das Parlament ist beim Legiferieren eingeschränkt.

Mit dem Staatsvertragsreferendum hat aber das Volk das letzte Wort.

Ja, soweit ein Vertrag dem Referendum überhaupt unterstellt ist. Falls das Volk dann Ja sagt, ist die damit verbundene Einschränkung der Souveränität direktdemokratisch legitimiert. Wenn es Nein sagt, gilt der Vertrag als nicht zustande gekommen. Das könnte beispielsweise beim angepeilten Rahmenvertrag mit der EU einmal der Fall sein. Die letzten Wochen waren diesbezüglich sehr dynamisch. Sollten tatsächlich der Europäische Gerichtshof der gemeinsame Schiedsrichter  werden, wäre der Souveränitätsverlust enorm. Er wiegt stärker als der von den Gewerkschaften kritisierte Abbau beim Lohnschutz.

Wenn man das Staatsvertragsreferendum ausbauen würde, wäre das auch ein stärkender Schritt in der Frage der direkten Demokratie. Damit wäre für die Entscheidung über die Abgabe der Souveränität der Souverän, also das Schweizer Volk, verantwortlich. Aber bei den Staatsverträgen ist doch die Mitsprache eher gering.

Jein. Über das Staatsvertragsreferendum wurde in der Vergangenheit mehrmals diskutiert und auch gerade jetzt wieder. Es ist in der Verfassung geregelt. Es gibt sowohl das fakultative Referendum als auch unter Umständen das obligatorische. (vgl. Kasten S.3)

Die entscheidende Frage ist wohl, was «wichtige rechtsetzende Bestimmungen» bedeuten?

Ja, diese Frage stellt sich immer wieder. Darüber streiten sich Politiker, Politologen, Staats- und Verfassungsrechtler ständig. Auf keinen Fall sollten wir das Staatsvertragsreferendum einschränken, sondern die Verträge im Zusammenhang mit der Terminologie «wichtige rechtsetzende Bestimmungen» grosszügiger dem Referendum unterstellen. 

Wer könnte das erwirken?

Das kann nicht die Aufgabe der Staats- oder Verfassungsrechtler und auch nicht der Gerichte sein. Sie gehört bei der Auslegung im Einzelfall ausschliesslich in die Kompetenz des Parlamentes und liegt schliesslich bei Volk und Ständen, wenn es z. B. darum ginge, das Referendum mittels eines überarbeiteten Verfassungsartikels auszubauen.

Die Aussenpolitik liegt in der Kompetenz des Bundesrates. Wird er sich darauf einlassen, hier «Macht» abzugeben?

Die Aussenpolitik wird seit 1848 vom Bundesrat gestaltet. Sie ist nicht in erster Linie eine Stärke des Bundesrates, sondern eher eine Schwäche des Parlaments. Ob ihm dieses dabei genügend auf die Finger schaut, ist eine andere Frage.

Wo kann das Parlament heute eingreifen?

Über das Budget hat das Parlament Einfluss auf alle Staatstätigkeiten. Die Aussenpolitik ist der Bereich, in dem der Bundesrat wie sonst nirgends freie Hand hat. Das ist aber nicht nur in der Schweiz so. Die zuständigen Kommissionen werden zwar für vieles konsultiert, aber ihr direkter Einfluss ist vergleichsweise nicht sehr hoch. Auch fehlen in den Aufsichtskommissionen die personellen Ressourcen, um die Politik des Bundesrats genauer unter die Lupe zu nehmen.  

Gibt es keine Möglichkeit, das Personal aufzustocken?

Im letzten Jahr meiner 16jährigen Parlamentstätigkeit habe ich mich bemüht, das Sekretariat der Geschäftsprüfungskommission (GPK) aufzustocken. Wenn man bedenkt, dass dieses mit etwa 30 Vollzeitstellen auskommen muss gegenüber mehr als 30 000 Bundesangestellten, kann man sich vorstellen, dass längst nicht die ganze Staatstätigkeit genau unter die Lupe genommen werden kann. Das Sekretariat der GPK leistet hervorragende Arbeit, aber 30 Stellen sind schlichtweg zu wenig.

Waren Sie mit Ihrem Vorstoss erfolgreich?

Nein, ich bin grandios gescheitert. Meine Lösung sah vor, die Stellenzahl im Sekretariat zu verdoppeln und als Kompensation die Bundesstellen um ein Promille zu reduzieren, das wären genau 30 Stellen gewesen. Aber mein Vorschlag ist chancenlos geblieben.

Zur staatlichen Souveränität unseres Landes gehört auch der Föderalismus. Welche Bedeutung messen Sie diesem heute noch bei?

Schon in der Helvetik gab es föderalistische Überlegungen, sie wurden sogar von Napoleon teilweise verstanden, weil es in seiner korsischen Heimat schon etwas Ähnliches gegeben haben soll. «Alles führt zum Föderalismus hin», soll er bereits 1802 – bezogen auf die damalige Schweiz – vor der helvetischen Consulta in
St. Cloud gesagt haben.

Wenn wir 1848 in unserem Land den Föderalismus weggedrückt hätten, gäbe es heute die Eidgenossenschaft nicht. Die grösste historische Leistung seit 1291 ist das Überwinden des Sonderbundkrieges und damit verbunden die Gründung des Bundesstaates. Sie haben bis heute eine gewaltige Bedeutung und können nicht genug gewürdigt werden. Nach einem gewonnenen Krieg den Gegner nicht zu demütigen, sondern die Hand auszustrecken, um gemeinsam ein Land und ein Volk in die Zukunft zu führen, ist heute noch beispielhaft für die friedliche Lösung mancher innerstaatlicher Konflikte. Das Schmiermittel dazu war damals das Prinzip des Föderalismus.

Wie sehen Sie die Zukunft des Föderalismus?

Wenn wir über die Grenzen schauen, z. B. nach Katalonien oder nach Schottland, sehen wir, dass der Drang zum Föderalismus stärker wird. Es ist eine Reaktion auf die zunehmende Zentralisierung und die Globalisierung. International ist der Föderalismus kein Auslaufmodell, in der Schweiz ist er auch nicht direkt in Gefahr. So werden etwa Kantonsfusionen keine Chance haben. Bevor ich in die Bundespolitik eingestiegen bin, war ich zwar der Meinung, der Föderalismus könnte auch mit weniger Kantonen funktionieren. Dem würde ich heute widersprechen.

Warum haben Sie hier Ihre Meinung geändert?

Meine Erfahrungen in Bern und meine Kontakte auf Gemeinde- und Kantonsebene haben mich eines Besseren belehrt. In den letzten Jahren hat sich der Bund immer mehr Kompetenzen angeeignet. Er setzt Rahmenbedingungen, in denen sich die Kantone bewegen können. Heute scheint es mir sehr wichtig, darüber nachzudenken, inwiefern man den Kantonen wieder Kompetenzen zurückgeben kann.

Das Staatsmodell der Schweiz mit all seinen Aspekten wie Föderalismus, Neutralität, direkter Demokratie steht im krassen Gegensatz zur politischen Organisation der EU. Wie sollte sich die Schweiz in der Auseinandersetzung mit ihr positionieren?

Am wenigsten bestritten ist der Grundsatz der direkten Demokratie. Sie ist aber dort in Gefahr, wo man ihr schrittweise die Wirkung entziehen will. Das könnte bei einem Nachvollzug von EU-Recht der Fall sein. Und dann sind wir wieder beim Staatsvertragsreferendum. Das müsste eher ausgebaut als eingeschränkt werden.

Durch die Weiterentwicklung des EU-Rechts muss die Schweiz dieses aufgrund der Verträge übernehmen, ohne dass darüber das Volk entscheiden kann.

Das muss sich erst noch weisen. Wir streiten ja schon lange über den Rahmenvertrag, von dessen Inhalt wir bis heute noch so wenig wissen. Wo müssen wir gezwungenermassen Dinge übernehmen – im sogenannten «dynamischen Nachvollzug» – ohne an Souveränität einzubüssen? «Dynamischer Nachvollzug» ist ein politisches Unwort. Das heisst doch, wir haben etwas zu übernehmen, nicht weil wir es wollen, sondern weil wir von aussen dazu gezwungen sind. Somit ist es ein automatischer Nachvollzug und kein dynamischer, wie beim Waffenrecht eben auch.

Wenn wir uns mit einem Rahmenvertrag der EU anpassen, besteht dann nicht höchste Gefahr, dass in gewissen politischen Belangen der Souverän nichts mehr dazu sagen kann?

Die zentrale Frage ist, was durch den Rahmenvertrag dem Referendum entzogen wird und in welchen politischen Fragestellungen keine Initiative mehr möglich ist, weil uns die EU keinen Spielraum zulässt. Selbst wenn wir dann noch abstimmen dürfen, kommt jedes Mal fast automatisch die Drohung mit der Kündigung von irgendwelchen Verträgen seitens der EU. 

Das sind die grossen staatspolitischen Fragen und nicht, ob wir ein Stromabkommen abschliessen können oder nicht.  Ein solches wäre zwar wünschenswert, wenn es gut verhandelt ist. Die Lichter werden in der Schweiz aber auch ohne Stromabkommen mit der EU in 20 Jahren nicht ausgegangen sein. 

Wenn wir die Masseneinwanderungsinitiative und deren Umsetzung betrachten, unabhängig davon, ob man sie gut findet oder nicht, zeigt sich doch diese ganze Problematik.

Genau, man hat bewusst eine Drohkulisse aufgebaut – die EU würde die bilateralen Verträge kündigen – und damit begründet, dass man deshalb den Willen des Volkes nicht vollumfänglich umsetzen könne. 

War das ein Verfassungsbruch?

Nein. Wir kennen gar kein Verfassungsgericht. In der Schweiz ist das Volk, der Souverän, per se der Verfassungsrichter. Solange der Souverän die Umsetzung mit dem Referendum nicht korrigiert, hat er sie stillschweigend akzeptiert. Aus staatspolitischen Gründen hätte ich mir damals ein Referendum gewünscht. Das Volk hätte so aktiv die Rolle der Verfassungsrichter einnehmen können. Weil sie befürchtet hat, die Abstimmung zu verlieren, hat die SVP auf das Referendum verzichtet. Es ist ja interessant; die Rechte reklamiert den Verfassungsbruch, will aber partout kein Verfassungsgericht, währenddessen die Linke dem Verfassungsbruch widerspricht, aber immer wieder ein Verfassungsgericht fordert.  

Sind wir auf dem Weg zu einem Verfassungsgericht?

Die Zeichen dazu mehren sich. Es wurde in der Vergangenheit auf dem parlamentarischen Weg schon mehrmals gefordert, aber stets ohne Erfolg. Der Weg dazu ist allerdings kürzer geworden. 

Weshalb?

Bei allem Respekt vor den Bemüh­ungen für mehrheitsfähige Lösungen stehen Vorlagen wie zum Beispiel die Steuervorlage 17 meines Erachtens nicht im Einklang mit dem Grundsatz der «Einheit der Materie». Diese ist nicht nur bei Verfassungsänderungen einzuhalten, sondern nach dem aktuellen Stand der Lehre und gestützt auf Art. 34 BV auch bei Bundesgesetzen, welche bekanntlich dem fakultativen Referendum unterstehen. Wenn die zitierte Praxis Schule macht, bringt man die Rechte in ein paar Jahren dazu, am Ende doch noch einem Verfassungsgericht zuzustimmen. Volk und Stände hingegen werden ein Gremium von Verfassungsjuristen kaum befürworten, weil es ein Widerspruch zur Referendumsdemokratie per se ist und einer eklatanten Schwächung des Souveräns gleich käme.

Herr alt Nationalrat Lustenberger, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Romoos

 

Art. 140
Obligatorisches Referendum

Volk und Ständen werden zur Abstimmung unterbreitet:

b. der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften;

Art. 141
Fakultatives Referendum

Verlangen es 50 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone innerhalb von 100 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses, so werden dem Volk zur Abstimmung vorgelegt:

d. völkerrechtliche Verträge, die: 

1. unbefristet und unkündbar sind,

2. den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen,

3. wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Wie die USA den Regierungswechsel in Syrien planten

Die USA versuchen schon seit 12 Jahren, Assad zu stürzen – das zeigt ein von Wikileaks veröffentlichtes Dokument von 2006

von Dr. phil. Helmut Scheben*

Ausschnitt aus der geheimen Depesche aus dem Jahr 2006 von William Roebuck, damals US-Botschafter in Syrien. (Bild Scheben)
Ausschnitt aus der geheimen Depesche aus dem Jahr 2006 von William Roebuck, damals US-Botschafter in Syrien. (Bild Scheben)

Im Dezember 2006 schickte William Roebuck, US-Botschafter in Damaskus, eine Nachricht an das Aussenministerium in Washington. Diese Depesche1 war nicht mehr und nicht weniger als eine detaillierte Liste von Vorschlägen zur Destabilisierung Syriens. Aufgezählt wurden die wichtigsten Verwundbarkeiten (vulnerabilities) der Regierung Assad und die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten (possible action) der USA, um einen Regierungswechsel zu erreichen.

Das als geheim eingestufte Dokument wurde von Wikileaks – mit einer Flut von weiteren Dokumenten – am 30. August 2011 publik gemacht und von den Medien kaum beachtet. Zu diesem Zeitpunkt war der bewaffnete Aufstand mit Terrorattacken bereits in vollem Gang. Er wurde aber unter dem Einfluss der grossen westlichen Medien in der öffentlichen Meinung als ein Resultat des sogenannten arabischen Frühlings wahrgenommen. 

Die Mär vom unbeeinflussten Volksaufstand

Die USA und ihre Verbündeten verbreiteten äusserst wirkungsvoll die Erzählung, das syrische Volk habe sich im Sog des arabischen Frühlings gegen Assad erhoben und habe «zu den Waffen greifen müssen», um sich gegen die Unterdrückung zu wehren. Noch heute liest man unter dem Stichwort Bürgerkrieg in Syrien auf Wikipedia: «Auslöser des Konflikts war ein friedlicher Protest gegen das autoritäre Regime Assads im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011.» An dieser Darstellung halten Washington, London, Paris und Berlin bis heute mit Verbissenheit fest, und die westlichen Leitmedien folgen ihnen weitgehend kritiklos, obwohl eine Reihe von Fakten beweisen, dass die USA den Sturz unliebsamer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten seit den Anschlägen von 9/11 angeheizt hatten.

Frappierend in der Depesche von Botschafter Roebuck ist die Feststellung, Syrien werde (bereits 2006!) zunehmend von radikalislamischen Gruppen bedrängt und die Regierung der Syrisch Arabischen Republik (SARG) sehe sich gezwungen, gegen Al Kaida vorzugehen: «Extremist elements increasingly use Syria as a base, while SARG has taken some actions against groups stating links to Al-Qaeda.» 

Als Syrien aber 2011 die Vereinten Nationen um Hilfe gegen fundamentalistische Terrorgruppen bat, wurde dies im Westen als eine Propagandalüge Assads abgetan. Unsere Medien hielten sich treuen Glaubens an die offizielle US-Version, in Syrien sei 2011 ein «Bürgerkrieg» entstanden, weil Assad sein Volk unterdrücke. 2006 wusste aber Botschafter Roebuck bereits, wie die Extremisten in Syrien propagandistisch nutzbar zu machen seien: Man müsse die Sachlage publik machen, um von Syrien «ein Bild des Chaos, der Schwäche und Instabilität zu erzeugen».

USA heizten den Konflikt an

Des weiteren schlägt Roebuck vor, man müsse einen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten anheizen. Die Sunniten fürchteten den wachsenden Einfluss des Iran in Syrien. Roebuck schreibt, er sei sich mit den Botschaften von Saudi Arabien und Ägypten einig, dass man dies propagandistisch thematisieren müsse. Ausserdem müsse man syrische Oppositionelle wie den in Paris lebenden ehemaligen syrischen Vizepräsidenten Khaddam aufbauen. Dieser habe zwar kaum Support in Syrien, wisse aber genug über «schmutzige Wäsche» des Assad-Clans. Er wisse, wo die «hidden Skeletons» (Leichen im Keller) des Regimes seien.

Eine Schlüsselrolle ordnete Roebuck den Kurden zu. Sie seien als ethnische Minderheit das grösste Problem für Assad. Dieser fürchte nichts so sehr wie einen Aufstand der Kurden. Folglich müssten die USA sich zum Sprachrohr der Kurden machen und «Verstösse gegen die Menschenrechte publizieren». Man dürfe es indessen nicht übertreiben, denn die arabische Bevölkerung sei skeptisch gegenüber den Kurden. Dies könne, so Roebuck, «zu einer Belastung werden für unser Ziel, die Opposition zu vereinen». 

Roebuck muss Ende 2006 einräumen, Bashar al-Assad gehe gestärkt in die Präsidentschaftswahlen 2007, und Syrien sei ein stabiles Land. Viele Expats seien zurückgekehrt, um in Syrien zu investieren, es herrsche der Glaube an eine politische Öffnung. Assad habe eine Reihe von Wirtschaftsreformen eingeleitet und glaube wohl, dies sei seine wichtigste Hinterlassenschaft für Syrien. Da müssten die USA nun «Wege finden, um diese Reformen anzuzweifeln» und zu diskreditieren. Man könne zum Beispiel verbreiten, die Reformen nützen nur der Kumpanei unter der herrschenden Elite. Botschafter Roebuck hebt hervor, man müsse vor allem auf Öffentlichkeitsarbeit (public diplomacy) setzen, aber auch auf «more indirect means», um den inneren Zirkel der Assad-Regierung zu destabilisieren. 

Was unter den «indirekten Mitteln» zu verstehen ist, lässt sich begreifen, wenn man zum Beispiel die bekannte Dissertation des Journalismus-Forschers Uwe Krüger zur Hand nimmt. Er belegt die personelle Verfilzung von Leitmedien und Nato-nahen Institutionen. Für viele Chefredaktoren westlicher Medien ist das «westliche Bündnis» so viel wie ein religiöser Grundsatz. Was in Washington verlautet, wird kaum ernsthaft in Frage gestellt.

Neben Worten auch Geld und Waffen 

Es kann keinen Zweifel geben, dass der Krieg in Syrien lange vor dem Jahr 2011 von den USA geplant wurde. Aber selbstverständlich beruhte die Strategie des Regime Change – wie vorher in Afghanistan, Irak, Libyen – nicht nur auf «public diplomacy and more indirect means», sondern auch auf der massiven Finanzierung und Bewaffnung von aufständischen Milizen. Saudi- Arabien und Katar haben dafür Milliarden Dollar aufgewendet, westliche Geheimdienste haben logistisch und militärisch tatkräftig unterstützt.

Botschafter Roebuck schreibt im Dezember 2006 an seine Chefs in Washington: «Wir müssen bereit sein, schnell zu handeln, wenn sich die Gelegenheit ergibt.»

Die Gelegenheit kam mit dem arabischen Frühling. Seitdem haben schätzungsweise 500 000 Menschen ihr Leben verloren, mehrere Millionen sind auf der Flucht. 

¹ https://wikileaks.org/plusd/cables/06DAMASCUS5399_a.html

* Helmut Scheben studierte Romanistik. 1980 promovierte er zum Doktor phil. an der Universität Bonn. Von 1980 bis 1985 war er als Presseagentur-Reporter und Korrespondent für Printmedien in Mexiko und Zentralamerika tätig. Ab 1986 war er Redaktor der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich, von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter beim Schweizer Fernsehen SRF, davon 16 Jahre bei der Tagesschau.

 

Stoppt den Krieg – verhandeln ist das Gebot der Stunde – keine weitere deutsche Kriegsbeteiligung

Pressemitteilung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative

Angesichts der dramatischen Verschärfung des Krieges in Syrien, der durch die verstärkte Beteiligung aller Grossmächte auch zu einem Weltbrand ausarten kann, fordert die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative erneut: sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen in Astana und Genf.

Sie wendet sich mit Entschiedenheit gegen eine weitere völkerrechtswidrige Beteiligung an den Luftangriffen in Syrien. Die Überlegungen in der Bundesregierung und den Jamaika Parteien sind erwiesenermassen völkerrechts- und verfassungswidrig. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat festgestellt: «Im Ergebnis wäre eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an einer Repressalie der Alliierten in Syrien in Form von ‹Vergeltungsschlägen› gegen Giftgas-Fazilitäten völkerrechts- und verfassungswidrig». 

Jeder Chemiewaffeneinsatz verstösst fundamental gegen die UN- Charta und den Chemiewaffenverbotsvertrag. Die Anklage eines Landes ohne Beweise ist eine Feindbildprojektion, die das eigene völkerrechtswidrige Handeln legitimieren soll. Die NATO-Staaten haben durch ihr völkerrechtswidriges Verhalten  im Irak, in Jugoslawien, Libyen und Syrien jegliche Glaubwürdigkeit verloren. «Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge», hat es Bertold Brecht genannt.

Frieden verlangt ein Ende der Kämpfe und ein umfassendes Aufbauprogramm. Hieran soll sich die Bundesregierung durch Kürzung des Rüstungshaushaltes massiv beteiligen.

Das Töten muss gestoppt werden, die weitere Aufrüstung zu neuen Kriegen verhindert werden.

Sollte es erneut zu einer völkerrechtswidrigen Beteiligung der Bundesregierung an einem Kriegseinsatz kommen, ruft die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative zum Protest auf den Strassen und Plätzen auf. 

Quelle: http://natwiss.de/syrienkrieg/

* Im Februar 1988 haben sich NaturwissenschaftlerInnen in der Initiative «Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit» zusammen gefunden, um als Teil der Friedensbewegung ihre spezifischen professionellen Kompetenzen für eine Welt ohne Krieg und Gewalt, für die Kontrolle und Beseitigung atomarer, chemischer, biologischer und konventioneller Waffensysteme, für Friedens- und Abrüstungsforschung und für soziale, ökologische und humane Technikgestaltung einzusetzen.

Das Verbot der Einmischung gehört zu den Prinzipien der Uno-Charta

Bericht des ehemaligen Unabhängigen Uno-Experten Professor Dr. Alfred de Zayas über seinen Besuch in Venezuela und Ecuador 

von Thomas Kaiser

Das Büro des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte hat am 30. August den lange erwarteten Bericht des ehemaligen Unabhängigen Uno-Experten für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Professor Alfred de Zayas, über seinen Besuch in Venezuela und Ecuador veröffentlicht. 

Der Palais des Nations der Uno in Genf (Bild thk)

Der Palais des Nations der Uno in Genf (Bild thk)

 

Alfred de Zayas war seit 1996 der erste Uno-Berichterstatter, der nach Venezuela gereist war, auch gab es bisher wenige, die Ecuador besucht hatten. Im Vordergrund seiner Reise stand sicher der Besuch des krisengeschüttelten Venezuela. Dieser fand im Spätherbst letzten Jahres statt. Da de Zayas einer der wenigen Uno-Mandatsträger war, der eine Einladung nach Venezuela bekommen hatte, waren die Erwartungen dementsprechend hoch. Um sich in der begrenzten Zeit, ein möglichst umfassendes Bild von der Lage in Venezuela zu verschaffen, traf er unzählige Interessensvertreter, offizielle Vertreter verschiedener Uno-Organisationen sowie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und erhielt wertvolle Informationen. Auch traf er sich mit Ministern beider Staaten, Botschaftern, Diplomaten, Offiziellen der Regierung, Kirchenvertretern, Akademikern, Wirtschaftsleuten, Studenten und Organisationen der Zivilgesellschaft. 

Ursachen der Wirtschaftskrise erforscht

Bei seinem Vorgehen hielt sich de Zayas strikt an das Prinzip «audiatur et altera pars» (beide Seiten sind anzuhören), das verlangt insbesondere die Unabhängigkeit des Experten, die im Grundsatz für alle Uno-Mandatsträger gilt. Bei der Auswertung der Beweise blieb er sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber der Zivilgesellschaft objektiv. Was unter anderem thematisiert wurde, war die schwere Wirtschaftskrise, von der Venezuela bis heute heimgesucht wird.

De Zayas forschte nach den Ursachen dieser Wirtschaftskrise. Dabei stiess er auf verschiedene Faktoren, die hier einen Einfluss haben. Dazu gehört «die hundert Jahre alte Abhängigkeit des Staates vom Erdöl und die katastrophalen Folgen des Zerfalls des Ölpreises.» Eine zusätzliche Erschwernis bilden die «kumulierten Auswirkungen von 19 Jahren Wirtschaftskrieg, geführt gegen die sozialistische Regierung», was vergleichbar ist mit dem Vorgehen der USA gegen Chile 1970-73 während der Präsidentschaft Salvador Allendes oder 1980 gegen die Regierung unter Daniel Ortega in Nicaragua sowie mit der Finanzblockade gegen Kuba seit 1960. Dazu kommen noch die 2015 verhängten Wirtschaftssanktionen, die sich verheerend auf die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Lebensmitteln auswirkten und die Währung an den Rand des Zusammenbruchs brachten. 

De Zayas prangerte besonders an, dass das Verbot der Einmischung, das zu den Prinzipien der Uno gehört und dem Völkergewohnheitsrecht entspricht, das durch verschiedene Resolutionen der Uno-Generalversammlung sowie durch die Erklärung von Wien 1993 und dem Wiener Aktionsprogramm bestätigt und bestärkt wurde, ständig verletzt werde. Dieses Verbot gilt für sämtliche Staaten, ausser eine legitime Regierung bittet einen anderen Staat um Unterstützung. So geschehen in Syrien, als die Regierung Unterstützung von Russland erbat.

Einmischung von aussen – völkerrechtswidrig  

Im Falle der Auseinandersetzung zwischen Nicaragua und den USA in den 80er Jahren, so der Bericht von de Zayas, hat der internationale Gerichtshof in der Resolution 2625 festgehalten: «Kein Staat darf subversive oder bewaffnete Aktivitäten, die auf den gewaltsamen Umsturz der Regierung eines anderen Staates ausgerichtet sind, organisieren, unterstützen, anfachen, finanzieren, anstiften oder zulassen noch sich in innere Streitigkeiten der Bevölkerung einmischen.» Damit ist ganz klar definiert, dass kein Staat das Recht hat, in irgendeiner Art sich in die Angelegenheiten eines anderen einzumischen. Auch Kapitel 4, Artikel 19 der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten hält fest: «Weder ein Staat noch eine Staatengruppe hat das Recht – aus welchem Grund auch immer – in einem Land zu intervenieren, direkt oder indirekt, sich in innere oder äussere Angelegenheiten irgendeines Staates einzumischen.» Damit sind sämtliche Angriffe, die Venezuela seit der Bolivarischen Revolution 1999 erlebt hat, neben einem Verstoss gegen die Uno-Charta und weiterer ­internationaler Bestimmungen auch eine Verletzung der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten. 

Sachlich und ausgewogen

Auf diesen Bruch des internationalen Rechts machte de ­Zayas also explizit in seinem Bericht aufmerksam, der an der Eröffnungssitzung der Herbstsession des Uno-Menschenrechtsrats von dessen Nachfolger im Amt, ­Livingstone Sewanyana, erwähnt wurde. Nachdem der neue Unabhängige Experte für die Förderung einer friedlichen und gerechten internationalen Ordnung seinen aktuellen Bericht vorgestellt hatte, nahm im Rahmen des «interactiv dialog» der Aussenminister Venezuelas, Jorge Arreaza, Stellung und würdigte den von Alfred de Zayas verfassten Bericht über seinen Besuch in Venezuela, in dem er, so der Aussenminister, vielen Falschmeldungen und Verleumdungen in den Mainstreammedien entgegengetreten sei und sachlich und ausgewogen berichtet habe. Es liess nicht unerwähnt, dass Alfred de Zayas vor, während und nach der Reise schweren Angriffen und Diffamierungen ausgesetzt war. Es schien der politischen Agenda einiger Staaten zuwidergelaufen zu sein, dass Alfred de Zayas diese Reise durchgeführt und, was für deren Ziele und Absichten viel bedrohlicher war, einen Bericht darüber verfasst hat, der jetzt veröffentlicht ist. Jorge Arreaza warnte vor dem «Missbrauch der Menschenrechte als politische Waffe, mit der man Staaten attackiert und wirtschaftlich in den Ruin treibt.» Dass in solch einem Fall immer die Bevölkerung die Leidtragenden sind, wird dann verschwiegen. 

Keine humanitäre Krise, sondern eine Wirtschaftskrise 

Die Ursachen für das Kesseltreiben gegen Venezuela sieht denn Arreaza in dem gossen Reichtum an Bodenschätzen im Land.  Es ist offensichtlich, dass sich in der Öffentlichkeit ein negatives Bild von Venezuela einprägen soll. Arreaza erklärte auch, dass in Venezuela keine humanitäre Krise herrsche, sondern eine Wirtschaftskrise. Seit der Bolivarischen Revolution 1999 wird das Land wirtschaftlich und politisch attackiert. Man wollte von Anfang an verhindern, dass sich Venezuela unabhängig nach den Vorstellungen der gewählten Regierung entwickeln kann. Die seit ein paar Jahren von der USA und der EU völkerrechtswidrig verhängten einseitigen Zwangsmassnahmen, allgemeiner unter dem Begriff Sanktionen bekannt, haben die wirtschaftlichen Probleme im Land massiv verstärkt. 

Chile als Blaupause?

In seinem Bericht erinnerte de Zayas daran, dass das Vorgehen der USA bereits nach der Wahl von Salvador Allende zum Präsidenten von Chile erprobt worden war. Laut einer Darstellung der Schriftstellerin Pasqualina Curcio, die de Zayas in seinem Bericht zitiert, soll der US-amerikanische Präsident Richard Nixon zu seinem Aussenminister Henry Kissinger gesagt haben, er dulde «kein alternatives Wirtschaftsmodell in Lateinamerika».  Zusätzlich sei die Wechselkursmanipulation die effizienteste Strategie gewesen, schreibt Pasqualina Curcio. In Chile endete das Ganze mit einem von General Pinochet und dem CIA unterstützten Putsch. Wer kann angesichts dieser Realitäten Venezuela verdenken, dass es grosse Distanz zu den USA hält und auf der Hut ist, nicht das gleiche Schicksal wie Chile zu gewärtigen. 

Mit seinem Bericht hat Alfred de Zayas ein Dokument veröffentlicht, das zur Kenntnis genommen werden muss, um die Situation in Venezuela richtig zu beurteilen. 

«Finanzblockade und Sanktionen haben ein Chaos verursacht»

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger Uno-Mandatsträger

Alfred de Zayas (Bild thk)
Alfred de Zayas (Bild thk)

Hat die Regierung in Venezuela etwas von Ihren Empfehlungen im Bericht umgesetzt?

Ja, und ziemlich rasch.  Während meines Besuches hatte ich alle Uno-Organisationen in Caracas und auch andere regionale Organisationen zu einem «brainstorming» eingeladen, um zu sehen, wie diese Organisationen der Regierung helfen könnten, und zwar durch technisches Know-how in Sachen Lebensmittelproduktion und -verteilung, Beschaffung von Arzneimitteln usw. Kaum zwei Wochen nach meinem Besuch hatten sie ein «follow-up» durchgeführt und «action plans» mit der Regierung diskutiert. 

Das zeigt, dass die Regierung interessiert ist, die Situation im Land zu verbessern. 

Ja, aber die Umsetzung der Mass­nahmen wird durch die US/EU-Sanktionen und die Finanzblockade erheblich erschwert. – Und da ist noch etwas: Obwohl ich für politische Gefangene nicht zuständig bin – dafür haben wir eine Uno-Arbeitsgruppe – habe ich für die Freilassung von 23 Personen plädiert. Und am 24. Dezember letzten Jahres wurden 80 Personen aus der Haft entlassen. Natürlich bin ich nicht allein verantwortlich, aber ich meine, dass die Regierung mir entgegenkommen wollte.

 

Wie schätzen Sie die Lage in Venezuela 9 Monate nach Ihrem Besuch ein?

Die Finanzblockade und die Sanktionen haben ein Chaos verursacht, das die Regierung durch etliche Massnahmen zu meistern versucht. Wir lesen viel über Venezolaner, die über die Grenze nach Brasilien und nach Kolumbien wandern. Dies ist eine direkte Folge der Sanktionen, denn die Versorgung verschlechtert sich – trotz aller Massnahmen.

Präsident Maduro ist knapp einem Mordanschlag entgangen. Wissen Sie etwas über die Hintergründe?

Wahrscheinlich nicht viel mehr als Sie. Aber von meinen Kontakten in Caracas weiss ich, dass die venezolanische extreme Rechte sich verkalkuliert hat. Die Sache wurde zwar in Miami und Kolumbien ausgekocht, aber ziemlich amateurhaft, darum ist das Attentat gescheitert. Wäre Maduro getötet worden, hätten wir heute wahrscheinlich einen Bürgerkrieg im Lande.

Die Regierung hat versucht, mit einer Währungsreform die Inflation in den Griff zu bekommen. Ist das erfolgreich?

Sie hat doch einige Erfolge erzielt, und ich bin optimistisch, dass es ihr doch gelingen wird, die Währung zu stabilisieren. Aber die wirtschaftliche und finanzielle Aggression der Vereinigten Staaten, in der Komplizenschaft mit Kolumbien und Brasilien, ist sehr schwerwiegend. 

Inwiefern ist die Krise der venezolanischen Wirtschaft von aussen verursacht?

Hauptursache der Krise war der tiefe Fall des Ölpreises, denn der venezolanische Haushalt ist zu 90 % vom ÖI abhängig. Dies ist nicht Hugo Chávez’ oder Nicolas Maduros Idee – dies haben sie von den früheren Regierungen übernommen. Hinzu kommt natürlich, dass die chavistische Bewegung eine Volksbewegung ist – mit vielen Ideologen und wenigen Technokraten. Da sind Fehler auf wirtschaftlichem Gebiet von Chávez und Maduro begangen worden.  Aber der 19 Jahre dauernde Wirtschaftskrieg gegen Venezuela und vor allem die Obama-Trump-Sanktionen haben die Situation zur Wirtschaftskrise gebracht.

Welche Lösungsansätze sehen Sie heute für Venezuela?

Es geht in erster Linie darum, der venezolanischen Bevölkerung zu helfen. Dies verlangt, dass die Sanktionen aufgehoben werden und dass der Wirtschaftskrieg beendet wird. Anstatt internationaler Solidarität mit dem Volk Venezuelas sehen wir eine kriminelle Wirtschaftsaggression, den Versuch, die venezolanische Wirtschaft zu ersticken, damit eine sogenannte «humanitäre», in Tat und Wahrheit eine militärische Intervention durchgeführt werden kann, um einen «regime change» durchzusetzen. Hier werden von den USA, Canada und EU etliche Uno-Resolutionen mit Füssen getreten – und zwar unter völliger Straflosigkeit. Auch die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) trägt erhebliche Verantwortung für die Situation in Venezuela. Ich zitiere aus dem Kapitel IV Artikel 19 der Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten: «No State or group of States has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. The foregoing principle prohibits not only armed force but also any other form of interference or attempted threat against the personality of the State or against its political, economic, and cultural elements.»1

Herr Professor de Zayas, vielen Dank für das Interview.

Interview Thomas Kaiser

¹ Weder ein Staat noch eine Staatengruppe hat das Recht – aus welchem Grund auch immer – in einem Land zu intervenieren, direkt oder indirekt, sich in innere oder äussere Angelegenheiten irgendeines Staates einzumischen. Das erwähnte Prinzip verbietet nicht nur bewaffnete Gewaltanwendung, sondern auch jede andere Form von Einmischung sowie den Versuch von Drohungen gegen  die Integrität des Staates oder gegen seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen. 

«Gewaltprobleme könnten in der Familien- und Schulsituation erkannt und vor allem auch gelöst werden» 

von Dr. phil. Alfred Burger, Erziehungswissenschaftler

Nach den Vorfällen in Genf und Zürich, wo Männer massive Gewalt gegen Frauen ausgeübt hatten, thematisierten verschiedene Tageszeitungen das Problem. Unisono waren Politiker der Meinung, es müsse etwas gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen unternommen werden. Babette Sigg (CVP Frauen) meinte, die Gewalt komme vor allem von Migranten her, man dürfe die Augen nicht mehr davor verschliessen. Andere beklagten allgemein die Männergewalt gegenüber Frauen. Als Lösung präsentierten die Politiker Ansätze wie mehr Gleichstellung, mehr Präventionskampagnen, mehr Geld für Frauenhäuser usw.

Interessanterweise wurde in keinem Medium das Problem der Erziehung erwähnt. Erziehungsfragen und Erziehungsprobleme scheinen nicht mehr zu existieren. Dabei wäre die Frage der Erziehung der einzige Ansatz, der etwas zu einer Verminderung von Gewalt und zu einer Verbesserung im Verhältnis der Geschlechter beitragen würde. Und das unabhängig von der Frage, ob nun Migranten oder Kinder von Einwanderern oder allgemein Männer Gewalt ausüben.

Erziehung zur gewaltlosen Konfliktlösung

Tatsächlich durchlaufen doch alle, auch spätere Gewalttäter, eine Kindheit, in der sie erfahren und lernen sollten, wie ein konstruktives zwischenmenschliches Verhalten aussieht und wie die Geschlechter miteinander auskommen können. Jeder Mensch muss in diesem schwierigen Prozess der sogenannten Sozialisation lernen, dass er nicht alleine auf der Welt ist, dass es andere gibt, auf die er Rücksicht nehmen muss, damit ein gedeihliches Miteinander entstehen kann. Die Familie – Vater, Mutter, Geschwister oder auch andere Beziehungspersonen – ist dafür der geeignete Ort, diese Fähigkeiten zu erwerben. Wie sieht es aber diesbezüglich in den Familien aus? 

Bedeutung der Familie

Leider werden in vielen Familien die Kinder nicht mehr angeleitet, in manchen Fällen bestimmen eher die Kinder, wo es durchgeht, und nicht mehr die Eltern. Ein Beispiel: Das kleine Kind will mit dem i-Phone der Mutter spielen. Kinder sind ja von den sich bewegenden Bildern und Zeichen auf einem Bildschirm fasziniert. Die Mutter, obwohl sie vielleicht weiss, dass Fachleute warnen, schon kleinen Kindern Elektronik in die Hand zu geben, hat Mühe, Nein zu sagen, wird doch heute häufig vertreten, man solle die Kinder gewähren lassen und nicht erziehen. Erziehung ist ja heutzutage schon fast zu einem Unwort geworden. Eine solche Gefühlslage der Mütter führt dazu, dass sich nicht wenige Kinder immer durchsetzen bei den Eltern. Waren früher schlagende Eltern ein Problem, werden immer häufiger Eltern von Kindern geschlagen und geplagt. Selbstverständlich lernen solche Kinder nicht mit Versagungen und Enttäuschungen umzugehen: Abweisung oder nur schon vermutete Ablehnung der Person oder auch Misserfolge in der Schule oder im Beruf sind mit starken Gefühlsregungen verbunden, die eben immer häufiger mit Gewalt gelöst werden. In diesem Lernprozess der Gewalt spielen natürlich die negativen Vorbilder in Medien, Gesellschaft und Politik eine zentrale Rolle, besonders weil ja die Eltern sich in der Erziehung gemäss unserer «Fachleute» zurückziehen sollten. 

Verantwortung der Schule

So wie in der Familie und Gesellschaft allgemein das Wort Erziehung immer weniger vorkommt, ist es auch aus dem Schulalltag verschwunden. Pädagogik scheint nicht mehr zu existieren. Wichtig ist offensichtlich nur die Digitalisierung der Schulen. Dabei hätte die Schule von ihrer Aufgabe her die Pflicht, allfällige Defizite aus der Familienerziehung in enger Zusammenarbeit mit den Eltern zu ergänzen und allenfalls zu korrigieren. Doch mit der Einführung des neuen «Lehrplans 21» ist dieser Ansatz gänzlich im Verschwinden begriffen. Ein Lehrer als Animator und Begleiter hat allenfalls noch Berechtigung, als Organisator von Lernprozessen zu fungieren, aber sicher nicht mehr als verständnisvoller und konsequenter Erzieher der Kinder. Ein Beispiel gefällig? Da kommen zwei Kinder einer Familie am ersten Schultag nach Hause und werfen mit schlimmsten Schimpfwörtern um sich. Auf die empörte Reaktion der Eltern hin, erklären die Kinder, sie seien von den älteren Schülern der altersdurchmischten Klasse angehalten worden, andere zu beschimpfen und auch körperlich anzugreifen. Die Lehrerin habe nichts dazu gesagt. Hier liegt doch des Pudels Kern: Lehrer, die nichts mehr sagen oder nichts mehr sagen dürfen, die nicht mehr eingreifen, wenn Unrecht geschieht, die nicht mehr werten, was für die Kinder und für das Zusammenleben gut und schlecht ist, überlassen die Kinder sich selbst. Hier, in einer Kinderstube, in Familie und Schule, in der keine Werte mehr gelegt werden, entstehen dann solche Gewalt- und Allmachtsfantasien und heimliche Wünsche, alle Probleme mit Gewalt lösen zu wollen. 

Gewaltprobleme könnten schon in der Familien- und Schulsituation erkannt und vor allem auch gelöst werden. Zu einer Korrektur bräuchte es wenig, vor allem Entschlossenheit und Sicherheit der Erziehungspersonen, dass Gewalt nicht geduldet wird und eine konkrete Anleitung, wie man als Kind mit Enttäuschungen umgehen kann. Sind die Kinder einmal erwachsen geworden, reagieren sie eben so, wie sie es früher gelernt und eingeübt haben, da nützen auch «Gleichstellungsmassnahmen» und dergleichen nichts mehr. 

Es bräuchte also vor allem ein Umdenken in die Frage der Erziehung, damit solche Gewaltexzesse verschwinden. 

Lernen will gelernt sein

von Susanne Lienhard

Ein neues Schuljahr hat begon- nen. Ich bekomme eine neue erste Klasse mit 25 aufgeweckten Mädchen und Jungs – alles gute Sekundarschülerinnen und -schüler, die die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium bestanden haben. In ihren Schultaschen bringen sie nicht nur Hefte, Bücher und Stifte, sondern auch ihren eigenen Computer mit. «Bring your own device» (BYOD) heisst ab diesem Schuljahr die Devise.

«Bonjour tout le monde, bienvenue au lycée!», begrüsse ich sie. Im Hintergrund läuft französische Musik, und ich nehme sie mit auf eine Reise durch die französisch-sprachige Welt: von der Romandie nach Frankreich und Korsika, nach Belgien und Luxemburg, über den Atlantik nach Kanada und übers Mittelmeer in verschiedene afrikanische Länder. Der neue hochauflösende Grossbildschirm macht es leicht, per Computer die ganze Welt ins Schulzimmer zu projizieren und ihnen zu zeigen, dass die französische Sprache weit über das Schulzimmer hinaus verbreitet ist. Französisch ist weltweit die Muttersprache von rund 115  Millionen Menschen. Innerhalb der EU ist es nach Deutsch die zweithäufigste Muttersprache, in 32  Ländern dieser Welt offizielle Amtssprache und eine unserer vier Landessprachen. Ist das nicht Grund genug, Französisch zu lernen?

Der eine oder andere skeptische Blick begegnet mir. «Englisch ist doch Weltsprache, damit kann man sich überall durchschlagen, wozu also sich mit Französisch ab- mühen?», meint ein Schüler. Eine Schülerin pflichtet ihm bei: «Ja, Französisch ist schwierig! Ich lerne schon seit 5 Jahren Französisch und kann immer noch keinen fehlerfreien Satz sagen.»

«Ich werde euch zeigen, dass Französisch lernbar ist. Jeder Kutscher in Frankreich kann Französisch, warum solltet ihr es nicht lernen?», muntere ich sie auf und wir beginnen mit der Arbeit. Die Aussage der Schülerin, sie könne nach 5 Jahren Französisch keinen richtigen Satz sagen, geht mir aber nicht mehr aus dem Kopf.

Falsche Theorien

Es zeigt sich relativ schnell, dass die Konjugation der Verben vielen Mühe bereitet. Für die Schüler scheint es Glückssache zu sein, ob sie die richtige Verbform treffen oder nicht, sie wissen nicht, dass die Konjugation französischer Verben eine Systematik hat. Den Schülerinnen und Schülern kann man keinen Vorwurf machen. Sie sind Opfer falscher Theorien, die den modernen Lehrmitteln zu Grunde liegen und an den Pädagogischen Hochschulen gelehrt werden. Es wird von der Annahme ausgegangen, eine Fremdsprache lerne sich wie die Muttersprache, indem man sie höre und nachahme. Grammatik und Vokabeln büffeln seien von gestern. Das mag allenfalls funktionieren, wenn man den ganzen Tag der Fremdsprache ausgesetzt ist. In der Schulsituation mit 2 bis 3 Wochenstunden genügt dieser emotionale Zugang zur Fremdsprache jedoch nicht. Ohne systematische Vermittlung der grammatischen Strukturen und ohne gezielte Wortschatzarbeit ist das Erlernen einer Fremdsprache auf Sand gebaut.

Was heisst lernen?

Es gilt also nun, im Gymnasium das wacklige Fundament zu stabilisieren, um darauf aufbauen zu können. Das Plakat «Village des verbes», das die Systematik des Verbsystems veranschaulicht, und das altbewährte Konjugationsbüchlein von Theo Marthaler sind dabei nützliche Hilfsmittel. Das leider vergriffene Büchlein erklärt kurz und knapp, wie die verschiedenen Zeitformen gebildet werden, so dass die Schüler alle Verb- formen ableiten können.

«Wenn ich google, finde ich die Form doch viel schneller, als wenn ich sie selber ableiten muss», meint ein Schüler. Ich frage ihn, was er tue, um richtig kräftige Oberarme zu bekommen. Er schaut mich er- staunt an und sagt: «Ich gehe ins Krafttraining.» «Du trainierst also, dasselbe musst du für dein Hirn tun. Selber Denken ist das beste Krafttraining fürs Gehirn.»

Als wir in der nächsten Stunde die Hausaufgaben besprechen, ist es relativ unruhig. Schliesslich streckt eine Schülerin auf und fragt: «Können Sie die Lösungen nicht einfach auf ‹Sharepoint› stellen, dann können wir sie runterladen.»¹ Nach kurzem Überlegen sage ich: «Nein, in diesem Fall werde ich das nicht tun. Ihr profitiert mehr, wenn ihr jetzt am Ball bleibt, eure Fragen stellt und versucht, Fragen eurer Klassenkameraden zu beantworten.» Sie lässt nicht locker: «Aber bei manchen Formen bin ich unsicher, ob sie stimmen!»

«Also gut, dann nenne die Formen, und wir üben gemeinsam, sie im Konjugationsbüchlein nachzuschlagen. Achtung – fertig – los!» Der Funke springt über, und die Klasse lässt sich nun auf ein konzentriertes gemeinsames Üben ein.

Übung macht den Meister

Ich staune deshalb nicht schlecht, als vor der nächsten Stunde sich ein Schüler bei mir beklagt, dass die Lösungen immer noch nicht auf «Sharepoint» seien. Er war offensichtlich in der letzten Stunde nicht bei der Sache. Ich fordere die Klasse auf, ihre als Hausaufgabe vervollständigte Verbenliste mit dem Nachbarn zu vergleichen und unterschiedliche Lösungen zu markieren, damit wir sie anschliessend in der Klasse besprechen kön­nen. Als ich durch die Reihen gehe, sehe ich, dass der Junge, der sich eben beklagt hat, die Hausaufgaben nicht gemacht hat und dabei ist, die Lösungen vom Nachbarn abzuschreiben. «Warum hast du die Hausauf­gaben nicht gemacht?», frage ich ihn. Er zuckt mit den Schultern. «Hast du gedacht, die Lösungen seien ja dann auf Sharepoint?» Er schmunzelt und nickt verlegen. «Wie willst du deinen Hirnmuskel trainieren, wenn du die Lösungen runterlädst oder sie vom Nachbarn abschreibst? Das ist, wie wenn du einem anderen beim Krafttraining zuschaust. Du wirst dabei nicht kräftiger. Konjugieren zu lernen heisst, die Systematik zu verstehen und auf zahlreiche verschiedene Verben anzuwenden, zu üben und nochmals zu üben, bis du schriftlich und auch mündlich sattelfest bist. Also, nimm das Konjugationsbüchlein, leite die fehlenden Formen ab und trainiere dabei deinen Hirnmuskel!», ermuntere ich ihn.

Das Konjugationsbüchlein von Theo Marthaler ist ein hervorragendes Hilfsmittel, mit dem die Schüler alle Verbformen ableiten können. Leider ist es vergriffen.

Das Konjugationsbüchlein von Theo Marthaler ist ein hervorragendes Hilfsmittel, mit dem die Schüler alle Verbformen ableiten können. Leider ist es vergriffen.

 

Selber denken – Google kann sich irren!

In der hinteren Reihe ist es unruhig. Zwei Mädchen mit unterschiedlichen Lösungen behaupten beide, ihre Lösung sei die richtige. Ich frage sie, wie sie denn auf ihre Lösungen gekommen seien. «Ich habe bei Google nachgeschaut!», meint die eine, worauf die andere erwidert:«Ich habe auch bei Google nachgeschaut!» Das ist ja wunderbar, denke ich und schaue mir die Lösungen an. Beide sind falsch!

«Ja, Google mag manchmal hilf- reich sein, aber nur, wenn man das eigene Denken nicht ausschaltet. Wie könnt ihr jetzt die richtige Lö- sung finden?», will ich von ihnen wissen. Eine der beiden Schülerinnen klaubt etwas widerwillig das Konjugationsbüchlein aus ihrer Schultasche hervor, gibt aber zu verstehen, dass sie noch nicht ganz versteht, wie sie jetzt in diesem Büchlein die Verbform finden kann. Wir schauen das Problem- verb gemeinsam in der Klasse an und es stellt sich heraus, dass das Mädchen nicht die einzige ist, die noch nicht genau verstanden hat, wie man mit diesem Hilfsmittel arbeitet. Schliesslich nennt ein Mitschüler die richtige Lösung, und ich bitte ihn, Schritt für Schritt zu zeigen, wie er darauf gekommen ist.

«Jetzt verstehe ich, das ist ja gar nicht so schwierig!», stellt das Mädchen, das Google blind vertraut hat, nun erleichtert fest.

Lernen stärkt und macht medienmündig

Die Beispiele aus dem Schulalltag zeigen, wie gross die digitale Versuchung ist, den Weg des geringsten Widerstandes zu wählen, anstatt selber zu denken, zu begreifen, zu hinterfragen, zu üben und das Gelernte in verschiedenen Situationen anzuwenden, es mit Vorwissen zu verknüpfen, bis man es weiss. Lernen bedeutet nicht nur Spass, sondern oft auch harte Arbeit. Das Wissen, das man so erworben hat, kann einem allerdings niemand mehr nehmen. Es befähigt zu kritischem Denken und macht unabhängig und frei.

Im digitalen Zeitalter besteht also die grosse pädagogische Herausforderung darin, Kinder und Jugendliche zu befähigen, selber zu denken und sie auf dem Weg des Lernens zu begleiten. Ein solides Wissen und die Fähigkeit, selbst- ständig zu denken, sind der beste Schutz vor Desinformation und Manipulation und befähigen zu einem verantwortungsvollen Um- gang mit dem digitalen Angebot. 

¹ «Sharepoint» ist eine Web-Anwendung von Microsoft, die den Austausch von Daten und Dokumenten aller Art ermöglicht.

Viele Völker möchten leben wie wir Schweizer!

Leserbrief 

Ich bin schon sehr alt, aber glücklich und dankbar, dass ich seit Geburt eine freie Schweizerin bin.

Geboren in der Zwischenkriegszeit, habe ich von den Eltern später erfahren, wie schwierig diese Jahre waren. Arbeitsplätze waren rar, meist schlecht bezahlt und die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Mein Vater musste zuerst für einen geringen Lohn während einigen Jahren als Hauslehrer arbeiten. Nachher wurde er Oberstufenlehrer in Bauma. Er musste zudem noch als Spitalverwalter tätig sein. Weil der Lohn für die Familie mit 2 Kindern nur schlecht reichte, waren meine Eltern sehr froh, als er in Winterthur gottlob eine etwas besser bezahlte Stelle bekam. Im Zweiten  Weltkrieg hatten wir lange Angst, von Hitler überfallen zu werden. Gottlob stand die SP in dieser schwierigen Zeit zur Schweizer Armee und unterstützte die vom Bundesrat 1936 vorgelegte Wehranleihe. Hitler stand somit einer gut ausgerüsteten und ausgebildeten Armee gegenüber.

Nach den nicht einfachen ersten Nachkriegsjahren kam die Hochkonjunktur mit den guten Jahren für die Industrie, für die KMU und die arbeitende Bevölkerung mit einer geringen Arbeitslosigkeit.

Aber jetzt droht der Schweiz wieder grosses Unheil. «Brüssel» versucht mit grossem Druck die Schweiz mit einem institutionellen Rahmenabkommen in die EU einzubinden. Dazu gehört, dass wir EU-Recht übernehmen und fremde Richter über uns bestimmen werden.

Für die EU sind wir ein «gluschtiges» Land. Wir brauchen keine Finanzspritzen, sondern würden mithelfen, Finanzlöcher zu stopfen. Unserer Wirtschaft geht es gut, die Arbeitslosenzahl ist klein.

Was bedeutet die Annahme dieses Rahmenvertrags für uns?

- Verlust der direkten Demokratie und der Neutralität

- Wir verlieren unser Initiativ- und Referendumsrecht

Das heisst: Wir verlieren unsere Freiheit. Wir werden kein souveränes Land mehr sein. Etliche Bundesräte, viele Parlamentarier und alle Bundesbeamten wollen den EU-Beitritt. Warum? Die Bundesräte werden Minister, Parlamentarier und Bundesbeamte bekommen Saläre entsprechend «Brüssel».

Und wir werden als gewöhnliche EU-Bürger die Diktatur der Brüsseler Regierung erdulden müssen. «Brüssel» wird von uns viel Geld fordern!

In den letzten Jahrzehnten hat sich vieles in der Schweiz geändert, das mir und vielen anderen nicht gefällt. Das neoliberale Denken überwiegt! Niklaus von der Flüe soll gesagt haben: «Steckt die Zäune nicht zu weit!» Leider wird dieser weise Rat zu oft nicht befolgt

1. Beitritt zur Uno; wozu eigentlich?

2. Beitritt zur OECD; Einmischung von aussen in unsere inneren Angelegenheiten (Pisa, Lehrplan 21, Änderung der   universitären Ausbildung-> Verschulung des Studiums)

3. Schengen brachte uns die Aufhebung der Grenzen mit all ihren negativen Folgen. Zudem müssen wir unser Waffengesetz der EU-Gesetzgebung anpassen.

4. Die Bundesräte Schmid und Ogi haben unsere gut funktionierende Armee kaputtgemacht.

5. Bundesrat Ogi veranlasste den Beitritt zur Natogruppe: «Partnership for Peace!». Ein Verrat an der bewaffneten Neutralität.

6. Bundesrat Schneider- Ammann, der Wirtschaftler, treibt uns mit der Forcierung des Freihandels in eine neoliberale Wirtschaftsordnung und macht damit unsere Bauern kaputt: «Bauernsterben»!

7. Wir schliessen uns den illegalen Sanktionen gegen Venezuela und Russland an und verletzen damit den Grundsatz der Neutralität.

8. Bundesrat Maurer versprach uns die « beste aller Armeen!» Und was ist nach dem Ausverkauf der Armee übrig geblieben?

Wir haben sehr viel kampflos aufgegeben. Dabei möchten viele Völker genau so leben wie wir Schweizer! Den heutigen und kommenden Generationen wünsche ich dann auch Mut und Kraft, unsere Freiheit und Unabhängigkeit zu verteidigen.

Dr. med. Heidi Jucker, Schaffhausen 

 

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